Karl Nehammer, Bundeskanzler und ÖVP-Spitzenkandidat bei der Nationalratswahl, hat die Konkurrenz zwar nicht ausgeknockt - ist allerdings auch selbst nicht k.o. gegangen.
Mit einem durch das Hochwasser etwas aufgepäppelten Kanzlerbonus und einer biederen inhaltlichen Agenda ist es dem Regierungschef gelungen, der Volkspartei trotz Rekordminus einen Totalabsturz zu ersparen und die Hoffnung auf eine Rückkehr auf den Ballhausplatz am Leben zu erhalten.
Nationalratswahl ohne ÖVP-Totalabsturz
Nehammer, der sich auch schon einmal gerne als Hobby-Boxer inszenierte, ist in gewisser Seite der Prototyp des Profi-Politikers, manche mögen auch sagen eines Parteisoldaten. In der niederösterreichischen Volkspartei, die die Zügel auch in der Bundespartei fest in Händen hält, diente sich der Wiener durch die unterschiedlichsten Funktionen nach oben, bis er es nach einer Station im Generalsekretariat des ÖAAB an die Spitze der Parteizentrale schaffte. Die nächste Stufe war das Innenministerium und als das Kanzleramt frei wurde, schritt Nehammer entschlossen durch dessen Tür.
Als übermäßig charismatisch erwies sich der zweifache Vater in keiner seiner Funktionen, was wohl auch ein Mitgrund war, dass sich nie ein echter Kanzlerbonus ergab. Für den Glamour sorgte da schon mehr seine rührige Ehefrau. Er selbst wirkt immer ein wenig steif, aber dann auch als jemand, der es eigentlich gut meint und das nicht nur mit der eigenen Partei, sondern auch mit dem Land und seinen Leuten.
Wenige Nehammer-Feinde
Das ist wohl einer der Gründe, warum er - wiewohl Bundeskanzler - wenige Feinde hat, auch nicht in den anderen Parteien, von der FPÖ einmal abgesehen. Nehammer gilt als loyal und verlässlich, ist im persönlichen Umgang kulant, stets freundlich. Das heißt nicht, dass ihm nicht auch einmal die Pferde durchgehen können. Sein Burger-Sager in Sachen Armutsbekämpfung machte ihm lange zu schaffen. Auch dass er bezüglich der Durchsetzung der Corona-Maßnahmen die Polizei als "Flex" schilderte, ließ den ein oder anderen an seiner Formulierungskunst zweifeln.
Im Wahlkampf für die Nationalratswahl bewies Nehammer, der es beim Heer bis zum Leutnant brachte, jedoch eiserne Disziplin. Die ÖVP zog eine stringente Kampagne durch mit Themen, die liberale und linke Wähler außen vor ließen. Die Konzentration galt der Rückeroberung freiheitlicher Wähler, da konnte man es auch da und dort ein wenig retro anlegen, etwa wenn Nehammer Österreich zum Verbrenner-Land machen wollte. Letztlich konnte man zwar den Abstand ein wenig reduzieren, doch schien den Wählern bei diesen Themen die FPÖ wohl glaubwürdiger. Nehammers empörtes Nein zur EU-Renaturierung focht auch das Hochwasser nicht an, durch das er sich als ernster Krisenmanager kämpfte.
Nehammer bei Putin
Als ein gewisses Steckenpferd entwickelte sich in seiner Kanzlerschaft die Außenpolitik. Österreichs Beitritt zum "Skyshield" machte Nehammer zum Prestigeprojekt. Weniger glorios verlief seine Friedensmission bei Russlands Präsident Wladimir Putin, deren einziger Erfolg war, dass Nehammer zumindest ohne peinliche Bilder von der Begegnung wieder nach Hause kam.
Vielleicht die folgenreichste Festlegung des Nehammer-Wahlkampfs für die Nationalratswahl war, dass für ihn eine Regierungszusammenarbeit mit FPÖ-Chef Kickl ausgeschlossen ist. Hält er das durch, ist er in gewisser Weise der SPÖ ausgeliefert, deren Forderungen gerade im steuerlichen Bereich so gar nicht zur Entlastungslinie des Kanzlers passen. Letztlich dürfte es aber ein Luxusproblem für den ÖVP-Obmann sein, auf welche Seite er nachgibt. Eine weitere Regierungsbeteiligung der Volkspartei scheint gesichert und dass diese ohne Nehammer stattfindet, ist trotz des schwachen Abschneidens vom Sonntag eher unwahrscheinlich.
Das ist ÖVP-Chef Karl Nehammer
Zur Person: Karl Nehammer, geboren am 18. Oktober 1972 in Wien, verheiratet, zwei Kinder. 2016 bis 2018 Generalsekretär des ÖAAB, von 2017 bis 2020 Abgeordneter zum Nationalrat, von 2018 bis 2020 Generalsekretär der ÖVP. Ab Jänner 2020 Innenminister. Seit Dezember 2021 Bundeskanzler, seit Mai 2022 ÖVP-Chef. ÖVP-Spitzenkandidat für die Nationalratswahl.