Auf der Regierungsbank wird die ÖVP wohl trotzdem wieder Platz nehmen - eine Koalition ohne sie scheint kaum möglich.
Auf der Regierungsbank wird die ÖVP wohl trotzdem wieder Platz nehmen - eine Koalition ohne sie scheint kaum möglich.
Vor der letzten Nationalratswahl im Jahr 2019 fand sich die ÖVP noch in einer besonders günstigen Situation: Einerseits wusste sie mit Sebastian Kurz - zuvor bereits eineinhalb Jahre Bundeskanzler - einen jungen Sympathieträger an ihrer Spitze. Andererseits profitierte sie von der prekären Situation der FPÖ. Die mittlerweile erstarkten Freiheitlichen waren nach der Ibiza-Affäre, die überhaupt erst zum Ende der schwarz-blauen Koalition führte, ins Umfragetief geschlittert.
Schließlich wurde die ÖVP selbst von einer hausgemachten Korruptionsaffäre eingeholt. Personen rund um Kurz sollen mit Mitteln des Finanzministeriums gefälschte Meinungsumfragen in Auftrag gegeben haben. Der durch Ermittlungen gegen ihn sowie durch den neuen Grünen Koalitionspartner unter Druck gesetzte Kanzler nahm schließlich im Oktober 2021 den Hut. Karl Nehammer - vormals Innenminister - folgte ihm nach einem kurzen Intermezzo als Regierungs- und ÖVP-Chef nach. Ein eigens eingesetzter ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss im März 2022 trug wenig dazu bei, das Bild der Partei in der Öffentlichkeit zu bessern.
Zu den Erfolgen der schwarz-grünen Koalition unter Nehammer zählen Regierungsmitglieder etwa das Informationsfreiheitsgesetz, die Abschaffung der Kalten Progression oder die Valorisierung von Familienleistungen. Das von den Grünen gewünschte Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Reduktionspfaden wusste die ÖVP zu verhindern, aber auch die Grünen zeigten sich ihrer Größe zum Trotz als harter Verhandler. So wurde die zur Wahlkampfforderung der Volkspartei mutierte Möglichkeit der Überwachung von Messengerdiensten vorerst nicht beschlossen. Zuletzt konnte die ÖVP allerdings noch Postenbesetzungen - etwa Finanzminister Magnus Brunner als EU-Kommissar - gegen anfänglichen Widerstand des Koalitionspartners durchsetzen. Geprägt war die Legislaturperiode von Krisen wie oder Teuerung. Sie brachten naturgemäß beständige Kritik an der Regierung mit sich: So stieß etwa die während der Pandemie eingeführte Impfpflicht auf zahlreiche Gegner.
Ohne ersichtlichen Kanzlerbonus geht Nehammer nun in den Intensivwahlkampf. Dennoch setzt die ÖVP erneut ganz auf die Qualitäten ihres Spitzenkandidaten. Trat man 2019 noch als "Liste Sebastian Kurz - Die neue Volkspartei" an, ist man heuer "Karl Nehammer - Die Volkspartei".
Wie schon mit seinem im Jänner vorgestellten "Österreichplan", auf dem das Wahlprogramm basiert, präsentiert sich Nehammer derzeit als Verfechter der Werte Leistung, Familie und Sicherheit. Vor allem auf Letzteres lenkte die ÖVP den Fokus, Nehammer setzt den harten Kurs seines Vorgängers gegen illegale Migration fort. Gleichzeitig präsentiert sich die Partei als "Mitte" der Gesellschaft sowie als Garant für Stabilität in Österreich. Im Wahlkampf gibt man sich vor allem gegenüber der in allen Umfragen führenden FPÖ, aber auch der SPÖ streitbar. Der schwarz-grüne Koalitionsfriede wurde ebenso längst ad acta gelegt.
Einen Vorgeschmack auf die in Umfragen vorhergesagten hohen Verluste bei der - vor allem an die FPÖ - bot die im Juni. Die ÖVP kam auf genau zehn Prozentpunkte weniger als noch bei der EU-Wahl 2019. Die veränderten Verhältnisse hatten viele Funktionäre damals zumindest akzeptiert. Man müsse jede Stimme neu gewinnen, meinte etwa Generalsekretär Christian Stocker. So boten auch ein Ergebnis von 24,5 Prozent und Platz zwei schlussendlich Grund zur Freude.
Dennoch bleibt das Ziel klar Platz eins, erstes Angriffsziel damit die FPÖ. Diese ging bei der EU-Wahl als Siegerin hervor und liegt seit fast zwei Jahren auch in den Umfragen zur Nationalratswahl komfortabel vorne. Eine Koalition mit FPÖ-Obmann Herbert Kickl hat Nehammer längst ausgeschlossen und ihn als "Sicherheitsrisiko" deklariert. Andere ÖVP-Regierungsmitglieder folgten ihm prompt. Auch sonst zeigt sich die ÖVP - anders als in früheren Tagen - großteils innerlich geeint.
Eine Koalition der ÖVP mit der FPÖ, deren wirtschaftsfreundliches Wahlprogramm den Ideen der ÖVP ähnelt, halten Beobachter dennoch für alles andere als ausgeschlossen. Auch für eine Koalition mit der SPÖ, mit deren Forderungen u.a. nach Erbschafts- und Vermögenssteuern die ÖVP nichts anfangen kann, treten einige in der Partei ein - etwa der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler oder Tirols Landeshauptmann Anton Mattle. Geht man nach aktuellen Umfragen, so könnte in diesem Fall allerdings ein dritter Partner notwendig sein, was die Kompromissfindung komplizieren würde. Das Interesse anderer Parteien an einer gemeinsamen Regierung mit der FPÖ hält sich in Grenzen, Mehrheiten abseits dieser Beispiele scheinen kaum möglich.
Dass es die ÖVP nach der Nationalratswahl in die Opposition verschlägt, ist also unwahrscheinlich. Ohnehin wäre es für sie - die Expertenregierung unter der verstorbenen damaligen Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein ausgenommen - das erste Mal seit 1987 ohne Regierungsamt.
(APA/Red)