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Das Türken-Privileg – warum die Integration so schwierig ist

17-09-2017, 06:00

Türken haben spätestens seit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus dem Jahr 2012 als Ausländer Sonderrechte. Außenminister und ÖVP-Chef Sebastian Kurz will das ändern.

Aber der Reihe nach: "Keinem bleibt Deutsch erspart", sagte 2012 die damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, als sie strenge Änderungen im neuen Fremdenrechtspaket ankündigte. Knapp sechs Monate später entschied der EuGH allerdings, dass die geplanten Verschärfungen des Zuwanderungsrechtes für Türken nicht gelten.

Der Grund dafür: Ein Abkommen aus dem Jahr 1963 zwischen dem EU-Vorläufer "Europäische Wirtschaftsgemeinschaft" und der Türkei. Hinzugefügt wurde dem Abkommen im Jahr 1970 eine "Stillhalteklausel", die "keine neuen Beschränkungen zur Niederlassungsfreiheit" erlaubt. Österreich musste mit dem EU-Beitritt 1995 dieses Abkommen übernehmen.

Foto: /Grafik,istockphoto

"Ja, das ist ein problematisches Abkommen", gibt Heinz Fassmann, Vorsitzender des Integrationsbeirates im Außen- und Integrationsministerium von Sebastian Kurz, zu. "Zuwanderer aus der Türkei stellen einen erheblichen Anteil der in Österreich wohnhaften ausländischen Bevölkerung mit Migrationshintergrund." Die jährliche Zuwanderung sei zwar nicht so gravierend (1500 bis 2000 pro Jahr), aber weil es eine konstante Zuwanderung sei, "akkumuliert sich die Zahl über die vielen Jahre".

Tausende Betroffene

Seit dem EU-Beitritt Österreichs sind laut Statistik Austria mehr als 120.000 Türken in Österreich eingewandert. "Jemand", sagt Faßmann, "der wenig qualifiziert ist, holt sich auch einen wenig qualifizierten Ehepartner nach". Deswegen gebe es eine Perpetuierung einer gering qualifizierten Bevölkerung mit türkischen Wurzeln in Österreich. "Und das ist ein erhebliches integrationspolitisches Hindernis."

Die Folgen seien bekannt: Hohe Armutsgefährdung, Frauen sind seltener erwerbstätig und offensichtliche Bildungsdefizite.

Alle anderen Migranten, die sich in Österreich dauerhaft niederlassen wollen, müssen seit 2003 die "Integrationsvereinbarung" unterschreiben (siehe unten). Auch diese Regelung gilt nicht für Türken. Seit dem EuGH-Urteil versuchen österreichische Behörden diese Deutschkurse für Türken auf "freiwilliger Basis" zu etablieren. Zahlen, ob das auch in Anspruch genommen wird, werden nicht erhoben. Klar ist: Vergangenes Jahr haben nur 142 Türken beim Österreichischen Integrationsfond Gutscheine für Sprachkurse eingelöst. Das zeigt, dass Türken entweder keine Rückerstattung ihrer Kursgebühren anstreben oder den Sprachkurs nicht besuchen.

Kann man dieses Abkommen nicht ändern? "Das wäre ein erheblicher politischer Aufwand", sagt Faßmann.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz will dennoch versuchen. "Ich fordere einen neuen Vertrag mit der Türkei, der die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei neu regelt", sagte er zum KURIER.

Darin enthalten sein sollte anstatt einer Beitrittsperspektive eine Neuverhandlung von Teilen des Assoziierungsabkommens. Kurz: "Wir müssen das Verhältnis zur Türkei neu klären. Im Gegensatz zu den Beitrittskandidaten am Westbalkan bewegt sich die Türkei seit Jahren weg von der EU."

Im Oktober tritt das erneut verschärfte Integrationspaket in Kraft. Es enthält etwa ein Verbot salafistischer Koranverteilungen. Verschärft wird aber auch die Integrationsvereinbarung.

Türkische Migranten sind davon nicht betroffen.

Seit 2003 verlangt Österreich von Migranten aus Nicht-EU- Staaten, dass sie binnen zweier Jahre erworbene Deutschkenntnisse nachweisen. Ab Oktober 2017 wird neben der Sprache auch das Werte- und Orientierungswissen gelehrt und abgeprüft.

Warum sind Türken ausgenommen?

Ein EU-Abkommen von 1963 stellte die damals dringend benötigten Gastarbeiter aus der Türkei EU-Bürgern praktisch gleich. Der Vertrag gilt seither.

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