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Reformvorbild mit Schattenseiten

6-09-2017, 06:00

Deutschland wählt, Österreich wählt. Die Sicherung künftiger Pensionen zählt zu den Wahlkampfdauerbrennern. Dabei zeigt sich, dass beide Länder mit fast identen Herausforderungen kämpfen: Die Alterung der Gesellschaft verläuft ähnlich. Die Geburtenraten sind deutlich zurückgegangen, die Lebenserwartung steigt kontinuierlich. Außerdem stehen die Baby-Boomer vor der Pensionierung.

Das führt zu immer mehr Anspruchsberechtigten, die von tendenziell weniger Einzahlern ins System zu erhalten sind. Mit schöner Regelmäßigkeit ertönt daher hüben wie drüben der Ruf nach "Pensionsreformen".

Wie entwickelt sich das Verhältnis zwischen Aktiven und Pensionisten?

Während in beiden Ländern zu Beginn des Jahrtausends vier Menschen im erwerbsfähigen Alter (15-64) auf einen über 65-jährigen kamen, so wird das Verhältnis in Deutschland 2040 nur mehr bei zwei zu eins liegen. In Österreich wird dies spätestens 2060 der Fall sein. Das sagt eine Analyse der wirtschaftsliberalen Denkfabrik Agenda Austria. Bei gleichbleibendem Pensionssystem bedeutet dies, dass 2040 bzw. 2060 nur noch zwei Aktive für die Pension eines Pensionisten aufkommen.

Wie viel kosten die Pensionen?

Der Staat muss also kräftig zuschießen, jedes Jahr fließen Milliarden in das deutsche wie österreichische Pensionssystem. Die öffentlichen Ausgaben für Pensionen gehören in Österreich zu den am schnellsten wachsenden und liegen in Relation zur jährlichen Wirtschaftsleistung (BIP) etwa vier Prozentpunkte höher als in Deutschland, sagt Michael Christl von der Agenda Austria. Ein wesentlicher Grund dafür sei, dass in Österreich die private Pensionsvorsorge im Vergleich zu Deutschland de facto kaum existent sei und die staatliche Pension hierzulande großzügiger ausfällt.

Was waren in Deutschland wesentliche Pensions-Reformschritte?

Anders als hierzulande hat Deutschland einen "Nachhaltigkeitsmechanismus" in sein Rentensystem integriert – also eine Art "Pensionsautomatik" zur Anpassung des Antrittsalters an die steigende Lebenserwartung. Das gesetzliche Pensionsantrittsalter in Deutschland steigt schrittweise auf 67 (bis 2025) – die Rente mit 70 wird aktuell diskutiert. Außerdem wurden Männer und Frauen gleichgestellt, in Österreich steigt das Frauenpensionsalter erst bis 2033 auf 65 Jahre.

Die bisherigen deutschen Maßnahmen bewirken laut Christl, dass das Verhältnis von Einzahlungen und Auszahlungen halbwegs konstant bleibt. In Österreich werde jedoch die Lücke zwischen Einzahlungen und Auszahlungen von derzeit 5,7 Prozent des BIP auf 6,5 Prozent des BIP im Jahr 2040 anwachsen. So verschärfe sich die Finanzierungsproblematik.

Wo sind die Nachteile im deutschen System?

Deutschland habe seine Pensionsreformen de facto überzogen und "spart sich jetzt in die Altersarmut hinein", sagt Arbeiterkammer-Direktor Christoph Klein. "Wir sind gut beraten, uns im Pensionsbereich Deutschland nicht zum Vorbild zu nehmen. Wir müssen nicht alles kopieren." So liegen z. B. die Durchschnittspensionen in Deutschland deutlich niedriger als in Österreich (z. B. bei Männern zwölf Mal 1050 Euro pro Jahr versus 14 Mal 1560 Euro in Österreich). Damit, so argumentiert Klein, ist auch die Armutsgefährdung im Alter in Deutschland wesentlich größer.

So müsse ein Durchschnittsverdiener in Österreich 26 Jahre arbeiten und einzahlen, damit am Ende des Berufslebens eine Pension zumindest in Höhe der Armutsgefährdungsgrenze herauskommt. In Deutschland beträgt dieser Zeitraum schon heute 40,6 Jahre und für 20-jährige Berufseinsteiger sogar 48 Jahre. Klein: "Trotz eines langen Arbeitslebens mit normalem Verdienst im Alter arm? Die Deutschen müssen hier etwas tun."

Merkel verspricht: Keine Rente mit 70 – doch geht das?

„Die Rente mit 70 wird es mit mir nicht geben.“ Wieder so ein Satz, der Angela Merkel verfolgen wird: Seit sich die deutsche Kanzlerin beim TV-Duell von  Martin Schulz dazu drängen ließ, die Anhebung des Rentenalters von 67 auf 70 auszuschließen, ist der Wahlkampf um ein Thema reicher – und Merkel hat eine Debatte mehr am Hals. Hintergrund  ist der Umstand, dass einflussreiche CDUler und Ökonomen seit Langem fordern, das Eintrittsalter anzuheben; die Demografie mache dies nötig, heißt es.
 Die SPD ist da freilich dagegen, sie hat mit vergünstigenden Reformen  das reale Einrittsalter  sogar bei 64,1 Jahren stagnieren lassen. Insofern ist es doppelt spannend, dass Ökonomen fast aller großen Institute  kollektiv die Absage an die Rente mit 70 kritisieren: „Alle Parteien führen eine sehr unehrliche Debatte. Sie kündigen Pläne an, die massiv zulasten der jüngeren Generationen gehen würden“, sagte etwa der Präsident der Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung   Marcel Fratzscher – einer Institution, die als SPD-nahe gilt.

Heiße Kartoffel

Ob und wie sich die Idee realisieren lässt, ist  eine andere Frage.  Schicht- und Schwerarbeiter würden nämlich unter der Rente mit 70 finanziell leiden. Für sie wäre die Erhöhung wie eine Rentenkürzung, da sie öfter  unter Krankheiten leiden, warnen Arbeitnehmerexperten. Politisch wird man sehen, wie lange es dauert, bis man die heiße Kartoffel wieder angreift  – in der Union wird man jedenfalls bis nach der Landtagswahl in Bayern 2018 warten, um keine Wähler zu verprellen.
Merkel – und übrigens auch die SPD – sparten das Thema bei der letzten Bundestagssitzung vor der Wahl vorsorglich aus; Merkel machte sich eher darüber lustig, wie sehr die SPD ihr sonst ausgeliefert ist: „Gegen meinen Willen  konnten Sie in diesem Parlament echt nichts durchsetzen“, sagte sie süffisant.
 

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