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Streitfall Ständestaat: Verteidiger Österreichs oder Wegbereiter für Hitler?

6-03-2018, 06:00

Es war eine österreichische Lösung für einen österreichischen Konflikt. Jahrzehntelang hing das Porträt von Engelbert Dollfuß, Kanzler des Ständestaates, im Parlamentsklub der ÖVP. Schließlich wollte man, trotz aller Abgrenzung, nicht auf das Erbe der Christlichsozialen aus der ersten Republik verzichten. Für die Sozialdemokraten war das Bild des "Arbeitermörders " und "Austrofaschisten" im Tempel der österreichischen Demokratie natürlich ein gern und reichlich bedientes Feindbild.

Der Umbau des Parlaments und die Übersiedlung in das Containergebäude auf dem Heldenplatz lieferte die perfekte Möglichkeit, den Streit um das Bild still zu beenden. Dollfuß übersiedelte einfach nicht mit auf den Heldenplatz und hat ein Ausgedinge als Dauerleihgabe an das niederösterreichische Landesmuseum bekommen.Ein weiterer Schritt, um die so lange geteilte Erinnerung an die Jahre 1933 bis 1938 zusammenzuführen. Einen der größten Stolpersteine auf diesem Weg hatte das Parlament schon 2011 aus dem Weg geräumt – und das mit den Stimmen aller Parlamentsparteien. Die Opfer des Ständestaates wurden rehabilitiert, alle politischen Urteile, die die Diktatur gefällt hatte, aufgehoben. Gerechtigkeit für all jene, die in den Februarkämpfen des Jahres 1934 umgekommen, aber auch jene, die danach verurteilt worden waren. Es gab acht Todesurteile, unzählige standrechtliche Erschießungen, Tausende Sozialdemokraten und Kommunisten wurden ohne ordentliches Verfahren in Anhaltelager gesteckt.

Tatsachen, ebenso wie die Ausschaltung des Parlaments durch einen – wie man heute weiß – gut geplanten Staatsstreich, die Auslöschung des Parteiensystems durch die Einheitspartei "Vaterländische Front", das Verbot freier Gewerkschaften.

Und doch tun sich viele Konservative bis heute schwer, die Jahre unter dem 1934 ermordeten Dollfuß und Nachfolger Kurt Schuschnigg als Diktatur abzutun. Schließlich, so wird argumentiert, seien diese Jahre im Zeichen des Kampfes um Österreichs Überleben gestanden. Dollfuß wurde auch von führenden ÖVP-Politikern als "Patriot" und "Märtyrer" bezeichnet. Schuschnigg wiederum habe viel getan, um das bis dahin nicht vorhandene Bewusstsein für eine österreichische Nation zu schaffen. Seine historische Abschiedsrede vor dem Anschluss habe Österreichs Ringen um seine Unabhängigkeit vor der Welt demonstriert. Das habe die Haltung der Alliierten gegenüber Österreich später maßgeblich beeinflusst. Allmählich löst man sich auf beiden Seiten von früher eisern verteidigten Haltungen. So gestehen Konservative heute ein, dass Dollfuß’ Machtergreifung 1934 keine "Selbstausschaltung des Parlaments", sondern ein Staatsstreich war. Viele Linke lösen sich wiederum vom Begriff Austrofaschismus, schlicht weil er das Wesen der Ständestaat-Diktatur nicht erfasst.MORGEN Teil 4Warum Hitler die Massen faszinierte

Eine Frage muss uns noch heute bewegen, und mit ihr haben sich  seit 1935  Politiker,  Offiziere und auch Gewerkschafter ernsthaft beschäftigt: Kann und soll das österreichische Bundesheer bei einem Einmarsch deutscher Truppen militärischen Widerstand leisten?

Faktum ist, dass das Bundesheer klein war und kaum über eine moderne Ausrüstung verfügte. Zu den 60.000 Berufssoldaten kamen seit Einführung der Wehrpflicht im Jahr 1936 noch rund 100.000 Milizsoldaten. „Ein erheblicher Teil dieser Leute sollte wohl  –  wie so oft in Österreich – durch Tapferkeit ausgleichen, was an Waffen fehlte“,  schreibt der Historiker  Manfried Rauchensteiner. Aber dazu kam es nicht. Auch mit der Hilfe des  italienischen Diktators Benito Mussolini war  trotz der Römer Protokolle von 1934  nicht mehr zu rechnen.

Foto: Winkler, Karl / ÖNB-Bildarchiv / picturedesk.com/Karl Winkler/ÖNB/picturedesk.com Aber es gab zwei Offiziere, die überzeugt davon waren, dass sich Österreich verteidigen muss: Der Staatssekretär im Verteidigungsministerium Wilhelm Zehner und Generalfeldmarschall-Leutnant Alfred Jansa, der Chef des Generalstabs. Dieser hatte das militärische Vorgehen im sogenannten „Jansa-Plan“ entworfen.  Dieser sah einen Einsatz des Bundesheeres, weitgehend ohne die Milizsoldaten, vor. Jansa rechnete erst ab 1939 mit einem Angriff der Deutschen.

Angesichts des sehr ungleichen Kräfteverhältnisses war klar, dass ein Widerstand österreichischer Truppen gegen die deutsche Wehrmacht nur der Abschreckung oder der Verzögerung dienen könne. Also sah der „Jansa-Plan“ vor, dass  einige Divisionen an den Flüssen Traun und  Enns gegen den Angreifer kämpfen sollten.  „Die Vernichtungsschlacht im Donautal sollte auf jeden Fall unterbleiben und stattdessen versucht  werden, gegen die Flanke der deutschen Truppen zu wirken“,  erklärt Rauchensteiner.

Und wie hätten sich andere Teile der Bevölkerung bei einem militärischen Angriff der Hitler-Truppen verhalten? Franz Olah,  damals ein 28-jähriger sozialdemokratischer Gewerkschafter im Untergrund zeigte sich später überzeigt davon, dass „die Arbeiter sogar bereit gewesen wären, mit der Waffe in der Hand gemeinsam mit jenen zu kämpfen, die uns zunächst niedergeworfen hatten, nur um diese tödliche Bedrohung von Österreich abzuwenden.“
Bundeskanzler Kurt Schuschnigg hat in seiner Abschiedsrede im Radio am Abend des 11. März  deutlich  gesagt, dass „wir der Gewalt weichen“, damit kein  „deutsches Blut vergossen werde“.

Wilhelm Zehner reichte am 12. März sein Abschiedsgesuch als Offizier ein. In der Nacht vom 10. auf den 11. April  wurde der bekannte Gegner des Nationalsozialismus in seiner Wohnung von Leuten der Gestapo erschossen. Offiziell war von Selbstmord die Rede.
Alfred Jansa musste in die thüringische Stadt Erfurt übersiedeln, erhielt eine gekürzte Pension und arbeitete als Versicherungsvertreter. In der 2. Republik war Jansa an Vorbereitungen für die Errichtung des Bundesheeres beteiligt. Nach  beiden Offizieren ist eine Kaserne benannt. Von anderen Staaten konnte Österreich keine Hilfe erwarten. Nur Mexiko legte am 19. März 1938 beim Völkerbund in Genf Protest gehen  den „Anschluss“ Österreichs ein.

Von Helmut Brandstätter

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