
Er erinnert sich bis heute gerne an die langen Gespräche mit seinem Onkel Kurt Schuschnigg, an dessen überschäumenden Intellekt. Heinrich Schuschnigg, Architekt und Verwalter des Familienarchivs der Schuschniggs im KURIER-Interview.
KURIER: Wie sehen Sie den Streit um die Rolle Ihres Onkels und den Ständestaat?
Es ist erstaunlich, dass genau seine Figur bis heute so kontroversiell und emotional diskutiert wird, es wird wohl noch eine Generation dauern, bis das rein historisch betrachtet wird. Es hat aber keinen Sinn die Protagonisten der Geschichte unter heutigen Aspekten beurteilen zu wollen.
Wie beurteilen Sie die politische Haltung Ihres Onkels?
Die Familie Schuschnigg, das waren die typischen k.u.k.-Berufsoffiziere bis zum Ende der Monarchie. Das Wesentliche an ihrer Überzeugung war der Glaube an den übernationalen Staat. Man hat das Nationale abgelehnt, weil das der Grund der Zerstörung des Habsburgerreiches war. Monarchie und Demokratie ist ja kein Gegensatz, wie man an Großbritannien sieht. Das hätte ja auch in Österreich verwirklicht werden können, wenn die Geschichte anders verlaufen wäre. Es gab diese Anhänglichkeit an das Herrscherhaus in unserer Familie.
Der Ständestaat gab sich ja bäuerlich, provinziell. Wie ging ihr Onkel damit um?
Es steckte ja so viel Spießigkeit in diesem System, diese Blut und Boden-Ideologie. Das lief meinem Onkel zuwider. Das Provinzielle aber kommt daher, dass man natürlich verzweifelt versucht hat, ein österreichisches Nationalbewusstsein aufzubauen. Nach dem Ende des Kaiserreiches ist Österreich ja ohne Identität dagestanden. Daher kam ja der Anschlussgedanke an Deutschland, auch bei den Sozialdemokraten.
Wie hat er die Begegnung mit Hitler erlebt?
Mein Onkel lernt Hitler nur einen Tag kennen, das war in Berchtesgaden, und das war der schlimmste Tag seines Lebens. Das hat er damals gesagt, und mehrfach später auch. Meine Mutter hat immer erzählt, dass er weißhaarig war, als er zurückkam, mit 39 Jahren.
Seine Regierung dauerte ja nur vier Jahre und war von A bis Z ein extremer Stress. Von Beginn an ein Kampf um die Existenz des Landes, in dem vollen Bewusstsein, dass man eigentlich keine Chance hat. Also konnte man nur bessere Zeiten abwarten, weil man es aus eigener Kraft nicht schaffte gegen diese Aggressivität Hitlers.
Wie sah er Mussolini und dessen Rolle für Österreich?
Italien als Schutzmacht, das war für ihn eben die einzige Chance. Mein Onkel hat ja Mussolini persönlich immer als ganz lächerlich empfunden. Das schreibt er sogar noch in seinen Briefen aus dem KZ. Da lässt er sich aus über Mussolini. Der war für ihn eigentlich ein Kasperl.
Mein Onkel war ein Rechtsanwalt, der war davon überzeugt, dass sich ein schwacher Staat an das internationale Recht klammern muss. Daher hat Österreich auch auf den Völkerbund gesetzt, doch der ist durch den Angriff Italiens auf Abessinien zerbröselt, das war ja ein eklatanter Bruch des Vertrages, Abessinien war ja Mitglied des Völkerbundes.
Ihm war bewusst, dass Österreich Ähnliches droht, dass also Italien keine wirkliche Schutzmacht ist. Es war ihm klar, dass Mussolini früher oder später in die Hände Hitlers fallen würde, und das war für Österreich fatal.
Wie beurteilen Sie sein Verhalten vor dem Anschluss 1938?
Es ging ja beim Untergang der Ersten Republik vor allem darum, vor aller Welt zu demonstrieren, dass das kein demokratischer Vorgang war, dass Österreich Teil des nationalsozialistischen Deutschlands wurde, sondern ein Akt der Gewalt. "Wir weichen der Gewalt" war sein Satz. Er hat das bewusst als Verteidigung Österreichs darzustellen versucht, durch die Rede. Der Anschluss war für ihn die Katastrophe schlechthin, viele Österreicher haben sich das ja ganz anders vorgestellt.
Wie war das Verhältnis Ihres Vaters zu seinem Bruder?
Mein Vater und er waren sehr eng. Waren beide materiell völlig unbedarft, Offizierssöhne eben. Mein Onkel saß im KZ, vollkommen mittellos. Von dort schreibt er einen Brief, dass ihm die Wiener Stadtwerke immer noch die Rechnung von seiner Wiener Wohnung schicken. Die Nazis haben ja über Jahre nach seinen schwarzen Konten in der Schweiz gesucht. Die konnten sich nicht vorstellen, dass ein Minister nicht Millionär ist. Hitler und Göring waren ja Multimillionäre. Mein Onkel hatte eine Dienstwohnung, Dienstauto und eine minimale Gage. Die Gehälter waren lächerlich. Es war also nichts da an privatem Vermögen, aber das war ihm vollkommen wurscht.
Bei unseren Familientreffen nach dem Krieg ging es ja um ganz andere Themen, um Kunst etwa, oder Musik. Das war für ihn ganz wesentlich, die Musik. Er war natürlich sehr dominant in der Familie, war aber in Wirklichkeit gemütlich. Man hat eine Flasche Rotwein aufgemacht und sich unterhalten. Er hat ja eine Bildung und einen Intellekt gehabt, der übergeschäumt ist, und dazu ein fabelhaftes Gedächtnis.
Wie sehen Sie heute den Verdienst Ihres Onkels?
Sein Verdienst, der bleibt, ist die Tatsache, dass Österreich nicht einfach Klein-Bayern geworden ist, dass es gelungen ist, das Österreich-Bewusstsein zu fördern, auch wenn das unvollendet blieb. Nach 1945 haben ja nur noch Narren vom Anschluss geträumt. Er hat verhindert, dass Hitler auf demokratischem Weg in Österreich an die Macht gekommen ist, hat im März 1938 bewiesen, dass eine Volksabstimmung für Hitler so gefährlich war, dass er sofort die Okkupation auslösen musste, weil er wusste, dass er verlieren würde.
