Martin Schulz sieht müde aus, dabei hat der Verhandlungstag gerade erst begonnen. Sonntagvormittag, der SPD-Chef tritt im Willy-Brandt-Haus vor die Presse, und beginnt langsam aufzuzählen, wo sich Union und SPD näher stehen und wo nicht. Zum Beispiel beim Thema Miete, "ähh beim Mietmarkt", bessert er nach. Schulz legt immer wieder Pausen ein, überlegt kurz. Er wirkt angeschlagen. Angeblich habe sich der Parteivorsitzende noch nicht von seiner Erkältung erholt.
Nun muss er aber verhandeln - und will möglichst viel sozialpolitische Politik unterbringen. Das braucht Zeit. "Am Ende geht es darum, dass man nicht wegen der einen oder anderen Uhrzeit einen Druck aufbaut, den man in so einer Schlussphase beim besten Willen nicht gebrauchen kann.“
Ob man heute zu einem Ergebnis kommen wird? "Ich würde Ihnen gerne sagen, dass das der letzte Verhandlungstag ist, aber das werden wir im Laufe des Tages sehen." Kurz darauf ließ auch Kanzlerin Angela Merkel wissen, dass sie noch schwierige Verhandlungsstunden erwarte.
Beide sollten Recht behalten. Am Abend wird bekannt, dass die Koalitionsverhandlungen noch länger dauern, die Gespräche am Montag fortgesetzt werden. Es knirscht nämlich, und zwar besonders in der Gesundheitspolitik und beim Arbeitsrecht.
Dabei hat die Woche gut begonnen: Das Streitthema Migration wurde rasch bearbeitet. Am Ende kam ein bisschen Familiennachzug für Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus heraus: Bis 1. August bleibt der Nachzug weiter ausgesetzt, danach dürfen 1000 Menschen pro Monat nachkommen, plus Härtefallregelung. Mitverhandler und SPD-Vize Ralf Stegner war dennoch unzufrieden und schimpfte auf die CSU, die im "blindwütigen Wettbewerb mit der AfD" stehe.
Weniger Zwischentöne gab es bei den Themen Pflege und Rente: 8000 zusätzliche Stellen in der Pflege und stabile Beiträge für Rentner soll es geben. Zudem will man die Mindestrente für Geringverdiener umsetzen – ein altes Versprechen, das schon im letzten Koalitionsvertrag stand, der damaligen SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles aber verwehrt wurde. Jetzt soll es klappen.
Nahles hatte bereits am Parteitag angekündigt, sie werde verhandeln "bis es quietscht". Ihr Slang färbte scheinbar auch auf Parteigenossen ab. Für Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, musste es ebenfalls noch ordentlich "quietschen" – "das haben wir unseren Mitgliedern versprochen".
Immerhin durfte sie bereits am Donnerstag einen Erfolg verkünden: zehn Milliarden Euro sollen in Kitas, Schulen, Hochschulen, berufliche Bildung und Digitalisierung der Schulen fließen – ein "Leuchtturmprojekt", schwärmte die Ministerin.
So weit so gut, doch die harten Brocken wie das Ende der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen – die Arbeitgebern ermöglicht, ihre Mitarbeiter schneller loszuwerden haben sich die Verhandler fürs Wochenende aufgehoben. Ebenso den Versuch die Zwei-Klassen-Medizin abzuschaffen: Da es mit der Bürgerversicherung nichts mehr wird, wollen die Sozialdemokraten nun zumindest die Arzthonorare für Privat- und Kassenpatienten angleichen.
Womit wir wieder beim Sonntag und zurück in der SPD-Zentrale wären. Nach Merkels und Schulz’ Abgang in die Verhandlungsräume bleibt es lange still. Keine Statements, Journalisten starren auf die großen Glasfenster des Willy-Brandt-Hauses. Sie verfolgen den Aufzug, der stetig rauf- und runterfährt. Kommt denn endlich einer der Verhandler raus? Fehlanzeige.
Dafür sickert durch, dass sich die 15er-Runde der Unterhändler beim Problemthema Wohnraum geeinigt hat: Mehr Geld für den sozialen Wohnbau, plus die Forderung der Union nach einem Baukindergeld, also finanziellen Anreizen zum Erwerb eines Eigenheims, seien vereinbart.
Das Starren auf die Aufzüge geht dennoch weiter. Es kommt zwar lange niemand runter, dafür aber rauf: Innenminister Thomas de Maiziere und Armin Laschet, Ministerpräsident von NRW, hasten am späten Nachmittag aus ihren Limousinen und eilen schnellen Schrittes durch den Seiteneingang ins Foyer der SPD-Zentrale.
Es wird also länger dauern. Doch während sich manche hier auf eine Nachtschicht vorbereiten, verlässt eine mal schnell das Willy-Brandt-Haus: Merkel-Liebling und CDU-Vizevorsitzende Julia Klöckner.
Via Twitter lässt sie später wissen, dass sie in der Kirche war zum "Auftanken". Ein paar Stoßgebete, dass der Koalitionsvertrag möglichst bald gelingt, durften da nicht fehlen.