Wie wäre es, wenn man bei der nächsten Kontrolle nicht seinen burgunderroten Pass aus der Tasche ziehen würde, sondern einen blauen, europäischen? Wenn darauf nicht "Republik Österreich" gedruckt wäre, sondern nur "Europäische Union"? Ein Nachweis also einer Europäischen Staatsbürgerschaft?
Zukunftsmusik – heißt es dazu allenthalben in Brüssel. Eher sogar noch: ein ferner Traum bis hin zur Utopie. Eine Änderung der geltenden Regeln stehe derzeit nicht im Raum, heißt es von Seiten der Kommission gegenüber dem KURIER: "Einen europäischen Staat gibt es nicht", meint auch Völkerrechts-Experte und Österreichs Brexit-Verhandler in der EU, Gregor Schusterschitz, "daher gibt es logischerweise auch keine europäische Staatsbürgerschaft."
Eine solche, so meinen die Anhänger einer sich weiter ineinander vertiefenden EU, wäre die Krönung des europäischen Integrationsprozesses, das Kernelement europäischer Identitätsstiftung. Oder, wie es Südtirols Landeshauptmann Kompatscher zuletzt im KURIER-Interview formulierte: "Das würde heißen, dass Europa noch näher rückt und dass die Menschen das auch tatsächlich spüren." 512 Millionen europäischer Staatsbürger anstatt Staatsbürger Deutschlands, Frankreichs, Portugals, Rumäniens, Italiens, Österreichs...?
Was es seit dem Vertrag von Maastricht (1992) gibt, ist die Unionsbürgerschaft. Darin wurde fixiert: "Unionsbürger ist, wer die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedsstaates besitzt." Um Missverständnissen vorzubeugen und aufgrund des anhaltenden dänischen Widerstandes wurde fünf Jahre später der entscheidende Satz hinzugefügt: "Die Unionsbürgerschaft ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft, ersetzt sie jedoch nicht."
Sie brachte den Bürgern der Union u. a. das Recht, ihren Wohn- und Arbeitsort in der EU frei zu wählen, dort auch an Lokalwahlen sowie an den Wahlen zum EU-Parlament teilzunehmen.
Die eigenen Staatsbürgerschaften für eine EU-Staatlichkeit aufzugeben, das würde unweigerlich bedeuten, die Nationalstaaten zu überwinden. Das aber ist ein Szenario, das sich in der EU derzeit gar nicht abzeichnet. "Die Mitgliedstaaten haben in der EU das Heft in der Hand. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Beschlüsse treffen, die ihren Interessen zuwider laufen", meint EU-Experte Urs Pötzsch vom Centrum für Europäische Politik zum KURIER.
Für Evelyn Regner aber, Delegationsleiterin der SPÖ-Abgeordneten im EU-Parlament, wäre der Weg zu einer EU-Staatsbürgerschaft "die Reise in die richtige Richtung", also hin zu mehr Gemeinschaft. Als man vor einigen Jahren über eine EU-Verfassung diskutierte, habe man einen Schritt auf diesem Weg setzen wollen, so Regner. "Aber dazu ist es nicht gekommen." Vorerst bleibe es also "bei einem schönen Zukunftsprojekt".