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Bundeskanzler Sebastian Kurz zu Besuch bei Angela Merkel in Berlin

1-01-1970, 00:00

Allerdings setzte Deutschlands Langzeit-Kanzlerin (63) in der jüngeren Vergangenheit besonders in der Flüchtlings- und Asylpolitik andere Akzente als der rund halb so alte Neo-Regierungschef aus Österreich. Dennoch war die Stimmung vor dem Besuch, in dessen Rahmen der 31-jährige Kurz am Mittwoch auch noch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (75) und am Donnerstag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (62) treffen wird, betont positiv. “Deutschland ist nicht nur ein sehr wichtiger Nachbar, Freund und Partner, sondern auch unser wichtigster Handelspartner”, ließ Österreichs Bundeskanzler wissen. Es gelte daher, “gerade auch in Hinblick auf unseren EU-Ratsvorsitz gemeinsam an einem Strang zu ziehen bei den notwendigen Reformen in der EU.” Sein Ziel sei es, in der deutschen Hauptstadt mit Merkel zu erörtern, in welchen Bereichen dies möglich sei.

Kurz will Wettberwerbsfähigkeit in Europa stärken

“Insbesondere gilt es, die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Europa zu stärken sowie Chancen und Herausforderungen in dem Bereich zu nützen. Österreich und Deutschland verbinden auch Interessen als Nettozahler in der EU”, hielt Kurz fest. Laut seinem Büro werden neben den bilateralen Beziehungen der österreichische Ratsvorsitz in der zweiten Jahreshälfte 2018, die laufenden Brexit-Verhandlungen, der neue Mehrjährige Finanzrahmen (MFR) und die Migrationskrise sein.

Am Freitag war Kurz beim französischen Präsidenten Emanuel Macron zu Gast gewesen. Wie die Reise nach Paris wird auch der Trip nach Berlin seitens des Bundeskanzleramts “als klares Zeichen der pro-europäischen Ausrichtung der neuen Bundesregierung” angepriesen. Aber auch von deutscher Seite wurde vor dem Besuch Schönwetterstimmung gemacht. Kurz werde von Merkel “freudig erwartet”, ließ Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag wissen. “Es steht fest, dass Österreich und Deutschland Partner, Freunde und Nachbarn auf ganz besonders hohem Niveau sind”, betonte Seibert.

Meinungen von Kurz und Merkel lagen weit auseinander

Auch dass die persönliche Chemie zwischen der seit November 2005 amtierenden Merkel und Kurz möglicherweise nicht besonders gut sei, wurde dementiert: “Die bisherigen Begegnungen waren freundlich und interessant.” Allerdings lagen gerade Merkel und Kurz in für Europa bedeutsamen Fragen in den vergangenen Jahren oft deutlich auseinander. Insbesondere beim Flüchtlingsthema zogen mitunter schwarze Wolken auf. Bereits bevor die Lage im Herbst 2015 besonders drastische Formen annahm, war eine Entfremdung bemerkbar. Die deutsche Bundeskanzlerin prägte damals ihren historischen Satz “Wir schaffen das”. Kurz zeigte als Außenminister hingegen bereits im August 2015 Sympathien für den Grenzzaun von Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban.

Wenn es in der EU keinen ganzheitlichen Ansatz in der Flüchtlingsfrage gebe, “dann sind Staaten ja gezwungen, Einzelmaßnahmen zu setzen”, sagte Kurz damals im APA-Interview und war von Maßnahmen wie der Errichtung des ungarischen Grenzzauns “nicht überrascht”. In Folge entwickelte die EU zwar eine gemeinsame Strategie und beschloss eine verpflichtende Umverteilung der Flüchtlinge nach einer bestimmten Quote aus Griechenland und Italien auf andere EU-Staaten, die jedoch von Ländern wie Ungarn, Tschechien oder Polen torpediert wurde.

Kurz und Merkel in Flüchtlingsfrage getrennt

Kurz blieb indes bei seiner Linie, hielt Orban und Co. die Stange, und bezeichnete die EU-Flüchtlingsumverteilung nach festen Quoten als “Irrweg”. Staaten zur Aufnahme von Flüchtlingen “zu zwingen”, bringe Europa nicht weiter, sagte er kurz nach der Regierungsbildung im Dezember des Vorjahres der deutschen Tageszeitung “Bild am Sonntag”. “Wenn wir diesen Weg fortsetzen, spalten wir die Europäische Union nur noch weiter. Die Mitgliedstaaten sollten selbst entscheiden, ob und wie viele Menschen sie aufnehmen.” Die “Fehlentwicklungen in der EU-Flüchtlings- und Migrationspolitik” gehörten daher dringend korrigiert.

Merkel hingegen forderte mehr Einigkeit der EU-Staaten bei der Solidarität im Migrationsbereich. “Es kann nicht sein, dass es in einigen Bereichen Solidarität in Europa gibt, in anderen Bereichen aber die Solidarität ausgeschlossen ist. Das geht für mich nicht zusammen”, betonte Merkel im Dezember nach dem EU-Gipfel in Brüssel. Zuletzt setzte sich parteiintern die bayerische CSU durch, die eine Begrenzung der Zuwanderung von Flüchtlingen gefordert hatte.

Unterschiedliche Ansichten über Putins Politik

Unterschiedliche Ansichten gab es auch bezüglich der Politik gegenüber dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Kurz, der im Vorjahr als Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa rege Kontakte mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow und dessen ukrainischem Amtskollegen Pawlo Klimkin pflegte, ist offen für einen flexibleren Kurs gegenüber Moskau.

Wenn es im Konflikt in der Ostukraine schrittweise Fortschritte gebe, könnten die Sanktionen der EU auch schrittweise zurückgenommen werden. Es sollte “von einem System der Bestrafung zu einem System des Ansporns” übergegangen werden. Merkel pochte hingegen darauf, die Sanktionen gegen Moskau aufrechtzuerhalten, solange die Gründe dafür weiterbestehen. Sie will die Annexion der Krim weiterhin ausdrücklich nicht hinnehmen.

Kurz sieht Kerneuropa-Pläne mit Skepsis

Auch bei der Frage, wie die Europäische Union künftig aufgestellt sein soll, haben Merkel und Kurz durchaus unterschiedliche Vorstellungen. Merkel kann sich – wie Macron – auch ein Europa der zwei Geschwindigkeiten vorstellen. Kurz sieht derartige Kerneuropa-Pläne eher mit Skepsis. “Es kann nicht auf Dauer Mitglieder erster und zweiter Klasse innerhalb der Union geben”, sagte Kurz der französischen Tageszeitung “Le Figaro” (Freitagsausgabe) im Vorfeld seines Paris-Besuchs. “Wir können Europa nur stärken, wenn wir zusammenarbeiten.”

Ähnlichkeiten gibt es indes in der Sozialpolitik. Zwar stößt der Plan der schwarz-blauen Regierung, die Familienbeihilfe für nicht in Österreich lebende Kinder in den jüngeren EU-Ländern des ehemaligen Ostblocks stark zu kürzen, in der Europäischen Union vielfach auf Widerstand. Es ist auch noch offen, ob diese Maßnahme tatsächlich mit EU-Recht vereinbar ist, wie die ÖVP-FPÖ-Bundesregierung meint. Deutschland jedenfalls hatte im Vorjahr ebenfalls einen Vorstoß in diese Richtung unternommen, sich allerdings von Brüssel vorerst eine Abfuhr eingehandelt.

FPÖ-Regierungsbeteiligung in Berlin skeptisch gesehen

Die Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen und mitunter EU-skeptischen FPÖ wurde in Berlin im Vorfeld ebenfalls diplomatisch abgehandelt. Es verstehe sich von selbst, dass die Zusammenarbeit mit der österreichischen Regierung “auf der Basis der Werte stattfindet, die in Europa gelten und die wir uns in Deutschland konstitutiv für unser politisches Leben gegeben haben”, ließ der Sprecher Seibert wissen.

Wie der aus dem sozialdemokratischen Lager stammende Bundespräsident Steinmeier dies beurteilt, ist offiziell nicht bekannt. Den Sieg des Grünen-Kandidaten Alexander Van der Bellen über seinen FPÖ-Gegenspieler, den nunmehrigen Infrastrukturminister Norbert Hofer, bei der österreichischen Bundespräsidentenwahl hatte Steinmeier im Dezember 2016 freilich “als Signal gegen den Populismus in Europa” begrüßt. Damals war er aber noch SPD-Außenminister.

APA/Red.

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