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Deutschland: Warum die Parteichefs die GroKo brauchen

9-01-2018, 14:29

Eigentlich wollten sie es ganz anders machen. Keine Fotos mehr von Sondierern, die zwischen den Verhandlungen vom Balkon winken, sich nächtens auf Twitter befetzen oder freimütig jede Wasserstands-Meldungen rauströten. Aber so wie sich die Sonnenstrahlen einen Weg durch die Ritzen der heruntergelassenen Jalousien suchten, kamen auch erste Details der Verhandlungen an die Öffentlichkeit. CDU-Mann Armin Laschet, Ministerpräsident von NRW, verkündete eine erste Einigung in der Energiepolitik: Union und SPD wollen sich demnach vom Klimaziel verabschieden, bis 2020 die CO2-Emissionen um 40 Prozent zu senken.

Sein Vorpreschen erzürnte Teile der SPD, Fraktionsführerin Andrea Nahles warf ihm "Durchstecherei" vor. Nach zwei Tagen gibt es scheinbar Krach. Daraus voreilig Schlüsse zu ziehen, wäre falsch und verfrüht. An den Indiskretionen werden die Parteichefs eine mögliche Koalition nicht scheitern lassen. Denn die Alternativen für Merkel, Seehofer und Schulz sind denkbar schlecht. Sie sind quasi zum Gelingen verdammt.

  •  Eine Minderheitsregierung will die Kanzlerin vermeiden, das ließ sie vorab wissen. Aus guten Gründen: Sie müsste für ihre Themen nach Partnern suchen, was zu Diskussionen und Streit führt - genau das liegt ihr nicht. Und spätestens bei der Frage ums Budget könnte das Parlament in ein Chaos stürzen. Aus Merkels Sicht kein würdiges Ende für ihre vermutlich letzte Amtszeit. Der SPD käme dies nur Recht, vor allem jenen, die ihre Rolle lieber in der Opposition sehen, das wurde auch beim Bundesparteitag deutlich, wo einzelne Delegierte ihren Unmut äußerten ("Bin nicht Merkels Bettvorleger", "Martin, was sollen hier noch glauben?"). Dennoch entschied sich die Mehrheit für Sondierungen und eine mögliche Große Koalition.
  • Das ist auch im Sinne von Martin Schulz, selbst wenn er noch so oft von "ergebnisoffenen Gesprächen" predigt. Als wiedergewählter Vorsitzender und Vizekanzler wäre seine Zukunft vorerst gesichert, was bei Neuwahlen nicht der Fall wäre. Die SPD würde kaum mit ihrem glücklosen Kandidaten ins Rennen gehen, dazu bräuchte sie ein frisches Gesicht: Potenzielle Anwärter gibt es, doch selbst ihnen würde es in der Eile nicht gelingen, die krisengebeutelte Partei zu alten Erfolgen zu führen. Eine Personalrochade wäre also höchstens Kosmetik, ein inhaltliche Erneuerung dauert Jahre und ist ein Prozess, den die SPD in der Kürze nicht bewältigen wird können. 
  • Ebenso wenig die CDU, die sich mit einer Personaldebatte auseinandersetzen wird müssen. Merkels Getreue werden zwar versuchen, Brandmauern aufzustellen. Aber selbst sie wissen, dass die Kanzlerin nicht mehr so alternativlos ist, wie sie sich gibt. Ausgesprochen wird es derzeit aber nur von einer CDU-Rebellengruppe mit mehreren tausend Mitgliedern um den Baden-Württemberger Alexander Mitsch. Sie fordert einen Neuanfang - und das gilt auch für den Chefinnensessel im Kanzleramt.

Und selbst wenn manche CDU- und SPDler derzeit am liebsten gleich das Ende der "GroKo"-Verhandlungen und Neuwahlen einläuten würden, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier noch ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Nur er kann den roten Knopf drücken; davor hütete er sich auch nach dem Jamaika-Aus. Er rief die Parteien zu ihrer staatspolitischen Verantwortung auf, eine Einigung liegt ihm näher, als vorzeitig Wahlen auszurufen. So lassen sich seine Worte beim heutigen Neujahrsempfang der Parteien als freundlicher, aber mahnender Wink an die Sondierer deuten: "Unsere Demokratie ist stark, auch in politisch schwierigen Zeiten."

Zunächst muss der Bundestag aufgelöst werden, das geht grundsätzlich über die Vertrauensfrage. Da Angela Merkel derzeit nur geschäftsführend im Amt ist, besteht die Möglichkeit nicht. Das Parlament aufzulösen geht nur über eine andere Variante: Es muss eine neue Kanzlerwahl geben. Entscheidend dafür ist Artikel 63 im Grundgesetz – eine Reaktion auf die Ereignisse der 1930er-Jahre. Bundespräsident Steinmeier muss dazu jemanden vorschlagen. Würde Merkel als Kandidatin die Mehrheit verfehlen, würde nach 14 Tagen noch einmal gewählt. Sollte sie es auch im zweiten Durchgang nicht schaffen, reicht es, wenn sie beim dritten Mal eine relative Mehrheit bekommt. Danach bleiben dem Bundespräsidenten zwei Möglichkeiten: Er kann Merkel zur Kanzlerin ernennen oder den Bundestag auflösen. Entscheidet er sich für Letzteres, muss binnen 60 Tagen gewählt werden.

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