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Union und SPD: Sondieren abseits der Talkshows

7-01-2018, 18:00

Die Neujahrsvorsätze klingen vielversprechend: Kein Besuch von Talkshows oder Beflegeln auf Twitter, auch Interviews sind verboten. Zumindest für die nächsten fünf Tage haben sich die Verhandler von CDU, CSU und SPD ein Schweigegelübde auferlegt. Sie wollen es besser machen als bei den gescheiterten "Jamaika"-Gesprächen, nichts soll nach außen dringen. Keine Zwischenstände oder Zerwürfnisse. So könnte nach mehr als drei Monaten möglich werden, was fast utopisch klingt: eine neue Regierung mit spannenden Projekten. Alles andere wäre nämlich ein "Weiter so" – und genau das wollen die angeschlagenen Volksparteien nach Selbstaussage vermeiden.

Allerdings soll jetzt alles ganz schnell gehen – ungeachtet der mangelnden Aufarbeitung des Wahlergebnisses. Ist die "GroKo" also schon ausgemachte Sache? Merkel, Seehofer und Schulz haben ein Bündnis bitter nötig. Doch es lauern Stolperfallen. Und als die Kanzlerin gestern vor der SPD-Zentrale erklärte, dass ein "Riesenstück Arbeit" vor ihnen liege, klang es fast wie eine Befürchtung.

Merkels Rolle

Will sie ihren früheren Partner zu einer weiteren Vernunftehe bewegen, wird Angela Merkel ihre Rolle ändern müssen. Ihr moderierender Stil fruchtete auch bei den Jamaika-Verhandlern nicht: Mehr Ideen und aktive Teilnahme habe gefehlt, erklärt Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt im Tagesspiegel. "Man kann nicht auf Dauer regieren, ohne noch eigene Ideen zu haben."

Foto: REUTERS/HANNIBAL HANSCHKE Merkels Kreativität ist nun gefragt, um Kompromisse zu finden. Allen voran die SPD will sich in einer Koalition inhaltlich deutlich abgrenzen und erwartet Entgegenkommen. Mit ihren Forderungen will sie die Union das Fürchten lehren: gebührenfreie Kita- und Studienplätze; Bürgerversicherung; mehr Investitionen in den sozialen Wohnungsbau und eine Schärfung der Mietpreisbremse. Nur mit solchen Trophäen können die Verhandler ihre Genossen am 21. Jänner überreden, für Koalitionsverhandlungen zu stimmen.

Wenig konsensfähig bleibt das Thema Migration. Hier legte die CSU die Latte für die SPD fast unüberwindbar hoch: weniger Leistungen für Asylwerber, Altersfeststellung minderjähriger Flüchtlinge. Und dann wäre noch die Forderung, nicht mehr als 200.000 Flüchtlinge im Jahr aufzunehmen. Den Bayern liegt das Ziel näher, die Landtagswahl zu gewinnen, als ein Bündnis mit der SPD zu organisieren. Sie laden lieber Viktor Orbán zur Klausur ein oder rufen zur "konservativen Revolution" auf – gegen wen, das brachte CSU-Mann Alexander Dobrindt im heute journal aber in Erklärungsnot.

Foto: APA/AFP/TOBIAS SCHWARZ Ihr Vertrauen wird die Kanzlerin daher in Horst Seehofer setzen müssen. Der CSU-Chef, der als Ministerpräsident kapitulierte und einem Jüngeren das Feld in Bayern überließ, braucht die "GroKo" und einen Ministerposten, um politisch zu überleben. "Ich fühle mich immer wohl in Berlin", frohlockte er vor den gestrigen Sondierungen.

Quertreiber in der SPD

Foto: APA/AFP/JOHN MACDOUGALL Während sich der eine mit seiner künftigen Rolle anfreundet, hadert der andere noch damit – zumindest öffentlich. Martin Schulz als Vizekanzler in Merkels Kabinett? Selbst, wenn er sich insgeheim an ihrer Seite sieht, muss er so tun, als könne er sich nichts Schlimmeres vorstellen. Auch um seine Rolle als Verhandler und Vorsitzender zu stärken. Denn die könnte ihm sein früherer Freund und amtierende Außenminister Sigmar Gabriel streitig machen. Dass er nicht im Sondierungsteam ist, obwohl er die letzte Koalition verhandelte, liegt an seinen Fouls. Er hielt sich nicht an Absprachen, stahl Schulz im Wahlkampf die Show; danach richtete er der SPD aus, was sie falsch gemacht habe. Dass er der Partei zuletzt im Spiegel Ratschläge erteilte und ihren Kurs kritisierte, konterkarierte Schulz erneut.

Bleibt abzuwarten, wie lang die Neujahrsvorsätze halten und interne Störfeuer zurückzuhalten sind. Noch am Freitag sollen die Sondierungen beendet sein, die Verhandler werden in ihren Gremien beraten. Sollten die Gespräche scheitern, käme es zu einer von Merkel ungeliebten Minderheitsregierung bzw. zu Neuwahlen – für die Volksparteien wäre es nach monatelangem Ringen ein blamabler Start ins neue Jahr.

Chronologie: Deutschland ringt um eine Regierung

24. September 2017: Union und SPD verlieren bei der Bundestagswahl enorm. Die SPD geht  in Opposition. CDU/CSU verhandeln mit Grüne und FDP.
19. November: Das zähe Ringen um „Jamaika“ endet. Die FDP bricht nach Wochen die Sondierungen ab.
7. Dezember: Die SPD stimmt  Sondierungen mit CDU/CSU zu – will aber am 21.1. 2018 erneut über  weitere Verhandlungen  entscheiden.
7. Jänner 2018: Offizieller Sondierungsstart: Union und SPD treffen sich mit jeweils 13-köpfigen Teams.

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