logo



[email protected]

Kurze Charmeoffensive in Brüssel

19-12-2017, 18:00

Es war eine Geste, die in Brüssel wohlwollend aufgenommen wurde: Noch vor seiner Regierungserklärung eilte Sebastian Kurz gestern Abend zu einem Blitzbesuch in die europäische Hauptstadt. Die Botschaft des neue Kanzlers: Österreich ist und bleibt auf Europa-Kurs.

Gerade einmal eineinhalb Tage lang war Kurz Österreichs neuer Kanzler, als er einem ihm wohl gesonnenen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk die Hand schüttelte. Der altgediente polnische Politprofi und der jüngste Kanzler Europas – sie liegen auf einer Linie. Besonders, seit Tusk in der Vorwoche das verpflichtende Flüchtlingsverteilungssystem in der EU als ineffizient kritisiert und Kurz ihm dabei energisch unterstützt hatte. Die Migrationspolitik der EU muss wirkungsvoller, der Schutz der EU-Außengrenzen besser werden, diese Forderung ließ Kurz sowohl Tusk als auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker wissen. Doch der Neo-Kanzler versuchte zudem zu vergewissern: Auch mit einem in Brüssel sehr skeptisch gesehenen Koalitionspartner FPÖ wird Österreich Entscheidungen der EU vollends mittragen und sich nicht in die Brüssel-kritische Frontstellung Ungarns oder Polens einreihen.

Der freundliche Empfang für Kurz in Brüssel ist Ausdruck dafür, wie sehr sich die Stimmung gedreht hat, seit vor 17 Jahren zum ersten Mal eine schwarz-blaue Regierung in Wien die EU verstörte. Österreich wurde mit Sanktionen bestraft. Besonders Frankreichs Präsident Jacques Chirac zeigte sich unversöhnlich gegenüber der Teilnahme der Haider-FPÖ an der Regierung. Die Folge: Die damals 14 anderen EU-Staaten verweigerten eine Zeit lang alle bilateralen offiziellen Kontakte mit der Regierung von Wolfgang Schüssel. Der damalige belgische Außenminister Louis Michel hatte gar empfohlen: "Fahrt nicht zum Schifahren nach Österreich." Später bezeichnete er seine Äußerung selbst als "dumm". Die Sanktionen blieben wirkungslos und wurden nach neun Monaten aufgehoben. Die FPÖ blieb in der Regierung, und in der EU war man einig, solche ziellosen Schritte nicht wieder zu setzen.

Keine Sanktionen mehr

Auch heute sind Vorbehalte gegenüber der neuerlichen Regierungsbeteiligung der FPÖ in Brüssel spürbar. "Die Situation ist vielleicht anders als im Jahr 2000. Aber die Tatsache, dass eine extrem rechte Partei an die Macht kommt, ist nie trivial", gab EU-Währungskommissar Pierre Moscovici zu bedenken. Einer Regierung, "die sechs Minister von der extremen Rechten aufstellt, kann ich nicht gratulieren", sagte der Franzose, einer der wenigen sozialistischen Mitglieder in der EU-Kommission. Sein italienischer Parteifreund Gianni Pittella, Vizepräsident des EU-Parlaments, holte noch weiter aus: Er drohte mit möglichen Sanktionen, sollte Österreichs Regierung "unsere Werte und europäische Prinzipien gefährden".

Taten aber werden diesen alarmistischen Worten nicht folgen. Der EU-Abgeordnete ebenso wenig wie das ganze EU-Parlament haben keinerlei rechtliche Handhabe. Nur die Kommission könnte agieren, im Gleichklang mit den 27 anderen EU-Mitgliedsstaaten. Nichts aber deutet darauf hin.

Die Empörung über die Beteiligung von Rechtspopulisten an einer EU-Regierung ist weitgehend Vergangenheit. Finnland hatte die "wahren Finnen" mit an der Macht, in Dänemark stützen Rechtspopulisten die Regierung. Und in Polen oder Ungarn fordern national-konservative Regierungen den Rechtsspielraum der EU so weit heraus, dass sich die ÖVP-FPÖ-Regierung im Vergleich dazu auch in Brüssel moderat anfühlt. Die FPÖ habe ja die Quadratur des Kreises geschafft, ätzte die britische Financial Times: Abgesehen von den "üblichen Anti-Islam-Slogans" positioniere sich die europa-kritische , rechtspopulistische FPÖ als Europa-Partei.

"Doch eine gewisse Unsicherheit bleibt", gibt Alex Jarman zu bedenken. Der Rechtspopulismus-Experte vom Think Tank CEPS (Centre for European Policy Studies) denkt dabei vor allem an die Ratspräsidentschaft Österreichs im der zweiten Hälfte 2018. FPÖ-Minister würden dann Sitzungen leiten. "Das löst bei vielen hier gemischte Gefühle aus", sagt Jarman zum KURIER. "Dass in der Regierungserklärung so viel vom Europa-Bekenntnis zu lesen ist, ist ein guter Start." Aber: "Man wird die Regierung an ihren Taten messen."

Nachrichtenquelle


© 2017-2024 wienpress.at [email protected]