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So reagiert die internationale Presse auf die neue Koalition

1-01-1970, 00:00

“Süddeutsche Zeitung” (München):

“Was in diesen Zeiten das Bekenntnis der neuen österreichischen Regierung zu einem ‘proeuropäischen Kurs’ bedeutet, ist keineswegs eindeutig. Zum einen, weil unter einem solchen Kurs heute Verschiedenes verstanden wird. Das Europa, für das die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron stehen, ist ein grundsätzlich anderes als das des Ungarn Viktor Orban – und Österreich dürfte sich künftig deutlich näher bei Orban als bei Merkel/Macron positionieren. Zum andern ist es so, dass hinter Österreichs Europakurs trotz all der Ausrufezeichen im Regierungsprogramm noch sehr viele Fragezeichen stehen. Als Brückenbauer in Europa, wofür Österreich wegen seiner Lage und Geschichte prädestiniert wäre, dürfte diese neue Regierung ausfallen.”

“Neue Zürcher Zeitung”:

“Das nun präsentierte Regierungsprogramm von ÖVP und FPÖ ist rechtskonservativ mit einiger Symbolpolitik, aber insgesamt solid und mit guten Ansätzen. Die große Vision für eine tiefgreifende Umgestaltung fehlt jedoch. (…) Tatsächlich eine vielversprechende Neuerung ist die Harmonie, die offenbar zwischen den Koalitionsparteien herrscht. Anders als in der Großen Koalition mit der SPÖ, in der die Verhinderung von Anliegen des Regierungspartners oft als größte Errungenschaft galt, entsteht erstmals seit langem der Eindruck, als ziehe die Regierung gemeinsam an einem Strick. Das ist im des politischen Hickhacks müden Österreich von Bedeutung. Dass Kurz die FPÖ dabei zu einem Bekenntnis zur EU verpflichtet hat, war ein in dieser Klarheit gebotener Schritt.”

“De Standaard” (Brüssel):

“In Österreich ist gelungen, was zuvor in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland nicht geglückt war: Der Durchbruch des rechtsextremen Populismus. Und es gibt heute mehr Grund zur Sorge über den FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache als damals über Jörg Haider. Österreichs neuer Vizekanzler hat eine besonders unappetitliche politische Vergangenheit, durch die sich der Flirt mit dem Neonazismus wie ein roter Faden zieht. Dass mehr als ein Viertel der Österreicher von seinem Gedankengut angetan sind, zeigt, wie populär und salonfähig die extreme Rechte in Europa geworden ist. (…)

Wenn nach den Wahlen des zurückliegenden Jahres so mancher hoffnungsvoll meinte, Europa habe diese Gefahr abgewendet, so scheint dies Wunschdenken gewesen zu sein. Bis gestern waren zwar nirgendwo rechtsextreme Parteien an die Macht gelangt. Aber das bedeutet nicht, dass ihre Popularität folgenlos bleibt.”

“La Croix” (Paris):

“Was sich in Österreich ereignet, hat für Europa schwerwiegende Konsequenzen: Eine alte liberale Demokratie zeigt nun genauso viel Euroskepsis wie die ‘neuen’ Demokratien in den früheren kommunistischen Staaten der Visegrad-Gruppe. (Europa) muss nun die Weitsicht haben anzuerkennen, dass die Furcht vor der Einwanderung die Bewohner des Kontinents in den vergangenen Jahren erschüttert und die Furcht vor einem Verlust ihrer kulturellen und religiösen Identität genährt hat. Das mag zu Recht irrational erscheinen, angesichts des Reichtums des alten Kontinents. Angesichts der weitverbreiteten Ansicht einer ‘kulturellen Unsicherheit’ darf Europa diese Debatte aber nicht scheuen.”

“El Mundo” (Madrid):

“Unter der Führung des Christdemokraten Sebastian Kurz ist die rechtspopulistische Freiheitliche Partei gestern (…) in die österreichische Regierung zurückgekehrt. (…) Dafür musste sie ihre europhobe Ausrichtung mäßigen und auf die Durchführung eines Referendums über den Verbleib in der EU verzichten. Aber eine drastische Reduzierung der Einwanderung ist für die Partei weiter unverzichtbar. Eine Einstellung, die auf dem Kontinent weiter auf dem Vormarsch ist – obwohl dies eine Änderung der Werte bedeutet, auf denen das Gemeinschaftsprojekt basiert. Brüssel muss die Entscheidungen dieser unerfahrenen Exekutive überwachen, die die anderen Regierungen beunruhigt.”

“Magyar Nemzet” (Budapest):

“In zahlreichen politischen Fragen der Union, so vor allem hinsichtlich der strengen Einwanderungspolitik und der Ablehnung eines europäischen ‘Superstaates’ sagt Kurz das Gleiche, was auch die ungarische Regierung vertritt. Budapest hat demnach auf jeden Fall einen sicheren Verbündeten gewonnen für seine Brüsseler ‘Kämpfe’. Unterstützung erhofft sich die ungarische Regierung auch von der anderen Mitgliedspartei der österreichischen Koalition, denn der Vorsitzende der Freiheitlichen, Heinz-Christian Strache, ist ein großer Verehrer von Viktor Orban. Laut Strache ist das vorübergehende Ende der Flüchtlingskrise ‘ausschließlich Herrn Orban’ zu verdanken. Strache würdigte auch mehrfach den ungarischen Grenzzaun. Doch bei den Freiheitlichen gibt es eine Schicht, die es eher in Richtung Jobbik (ungarische rechtsradikale Partei, Anm.) zieht.”

“Dnevnik” (Ljubljana):

“Die EU wird mit dieser österreichischen Regierung nicht im Entferntesten solche Schwierigkeiten haben, wie mit der ersten Regierung, in der zur Jahrtausendwende die Freiheitlichen vertreten waren. (Obwohl der damalige designierte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel aus einer Position des Schwächeren den Freiheitlichen deutlich weniger nachgegeben hatte als jetzt Kurz von der Position des Stärkeren.) Die Rechtspopulisten sind in europäischen Regierungen in eineinhalb Jahrzehnten eine neue Normalität, eine Realität geworden.”

“Lidove noviny” (Prag):

“Österreich wird zum Gegenpol Deutschlands. Das Land Angela Merkels tendiert immer mehr zu beständigen großen Koalitionen. Diese setzen Lösungen durch, für die symbolisch der Ausdruck ‘alternativlos’ steht. (…) Falls in Deutschland die Große Koalition erneuert wird, wird die Alternative für Deutschland (AfD) daher mit Sicherheit in der Wählergunst steigen. Von großen Koalitionen können die Österreicher ein Lied singen – auch deshalb gehen sie jetzt lieber den Weg des Machtwechsels. Österreich, das bisher als altmodisch galt, wird zu einem Land der Reformen und der Experimente.”

“Sme” (Bratislava):

“Anscheinend ist Europa inzwischen der Meinung, dass Neonazi-Parteien wie die FPÖ nie wirklich gefährlich werden können, weil sie, um mächtiger zu werden, ihre abstoßendste Politik aufgeben müssen. In anderen Worten: Indem die österreichische Mainstream-Politik die FPÖ einbindet, kann sie (FPÖ-Chef Heinz-Christian) Strache und seine ‘Heimat-Verrückten’ auch zivilisieren.

Und mit Blick auf die alternativen Rechten in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden ist das möglicherweise eine zwar zynische, aber dennoch vernünftige Einstellung. Zugleich aber auch eine Einstellung, die uns zeigt, wie sehr sich die Europäische Union bereits verändert hat. Die Europäer geben immer mehr jener Prinzipien auf, auf denen die EU beruht. Und die EU ziert sich immer mehr, diese Prinzipien durchzusetzen.”

(APA/Red.)

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