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Bayerischer Weihnachtsfrie­den in Nürnberg

16-12-2017, 19:06

Andreas Spreng reicht es. Seit 50 Jahren ist der Niederbayer CSU-Mitglied, nun soll Schluss sein. Nein, nicht mit der Partei, aber mit dem internen Streit, erklärt der Senior und lächelt. Er hat eine Botschaft dabei, jeder soll sie sehen: "Streit beenden, an Bayern denken", steht auf einer Holztafel, die er extra für den Parteitag angefertigt hat. "Es ist einfach zu viel Porzellan zerschlagen worden, das hat so viel Schaden angerichtet."

Das ist auch bei der CSU-Spitze angekommen. Beim Nürnberger Parteitag wollte sie eine neue Ära einleiten, ein neues Duo vorstellen, das zuletzt mehr gegeneinander als miteinander gearbeitet hat. Asugerechnet die Streithähne Horst Seehofer und Markus Söder sollen die CSU gemeinsam wieder nach vorne bringen und die Mutter aller Schlachten gewinnen: Die Landtagswahl 2018.

Und damit alle sehen, dass nichts mehr zwischen ihnen steht, räumen sie gleich zu Beginn des Parteitags ein Namensschild zwischen ihnen weg. Seite an Seite sitzen sie nun da, der Bayer und der Franke, lächelnd, scherzend und tuschelnd.

Aber, war da nicht was? Ja, zur Erinnerung: Bayerns Finanzminister Söder machte nie einen Hehl daraus, dass er auf den Chefsessel in der Münchner Staatskanzlei will. Und Seehofer, der sort seit zehn Jahren sitzt, tat fast alles, um dies zu verhindern. Die Rivalität zog sich bis ins  Privatleben der beiden. Wenn Horst Seehofer, den Disput heute anspricht, dann nur noch als "Effekt einer Knallerbse".

"Er kann es"

Jetzt, am dritten Adventwochenende, herrscht scheinbar Weihnachtsfrieden bei den Christsozialen. Der Jüngere, Söder, wird zum künftigen Ministerpräsidenten und Spitzenkandidaten der Landtagswahl 2018 gekürt, der Ältere, Seehofer, bleibt CSU-Chef – so steht es im Drehbuch des Parteitags, und beide halten sich daran.

"Er kann es, und er packt es", lobt Seehofer vorab seinen früheren Intimfeind, der sich in den Sessel zurück lehnt, gebannt die Rede verfolgt. Und falls er in diesem Moment so etwas wie Schadenfreude verspürte, kann er es gut verbergen. Etwa als ihm Seehofer Loyalität versichert: "Markus Söder kann sich auf meine Unterstützung total verlassen." Dafür gibt’s kräftigen Applaus.

Die CSU scheint müde ob der internen Tumulte. Die Sehnsucht nach Einigkeit ist groß, auch mit Blick auf die Wahl und die Konkurrenz durch die AfD. "Endlich is a Entscheidung do!", sagt eine Delegierte in erleichtertem Tonfall. Ob die Ämtertrennung wirklich sinnvoll sei? Vorerst ja, auf Dauer nicht. Ihr Kollege wirkt hingegen überzeugter: "Seehofer weiß, was in Berlin zu tun ist, und Söder ist unser starker Mann in Bayern."

Diese Erzählweise hört man an diesem Tag oft. Draußen in der Halle, wo sich Delegierte und Gäste bei Weißwurst laben und an Glühwein wärmen. Wenig spricht man über Defizite oder Fehler, denn die Bundestagswahl wurde in Berlin verloren, das sei ja wohl klar, so der Tenor. Der Auftritt der Kanzlerin am Freitag und ihr Bekenntnis zu einer geordneten Flüchtlingspolitik hat einige CSUler dennoch milde gestimmt. Also, alles gut – oder doch nicht?

Nein, Andreas Spreng, der draußen vor der Messehalle weiter sein Plakat hochhält, findet, dass sich die Partei auch mit anderen Zukunftsängsten beschäftigen muss: "Wie entwickelt sich das mit der Digitalisierung, Rente und der Wohnungssituation weiter? Da muss was passieren." Auch der Bürgermeister einer oberbayerischen Gemeinde lässt sich von den Harmoniebekundungen nicht einlullen. Er ist skeptisch. Solange Seehofer da sei, werde es Unruhe geben: "Jeder andere wäre besser geeignet als Parteichef."

"Bayern ist das Paradies"

Seehofer wird dies freilich anders sehen. Wieder auf der Bühne, lässt er seine Errungenschaften Revue passieren und spart nicht an Lob, das so klang, als gebühre es vor allem ihm selbst. "Bayern blüht, Bayern boomt. Bayern ist das Paradies, das können wir uneingeschränkt sagen" – das sollen die knapp 800 Delegierten wissen, bevor sie ihn erneut zum Parteichef wählen.

Die haben scheinbar auch anderes nicht vergessen oder verziehen: Mit 83,72 Prozent erhielt er jedenfalls sein schlechtestes Ergebnis (2015: 87,2 %; 2013: 95,3 %). Der Gescholtene selbst nahm es gelassen an, sprach von einer "guten Grundlage für das, was auf uns wartet".

Einen Kommunalpolitiker überrascht das Votum nicht. "Das hätte schlimmer sein können, ohne Ämtertrennung hätten wir einen Putsch erlebt." Denn Söder habe nicht nur Franken hinter sich, sondern auch viele Oberbayern, die von Seehofers Hin- und Her längst genug haben.

Umso entschiedener zeigten sich die CSU-Mitglieder bei der offenen Abstimmung, in der sie den 50-jährigen Nürnberger fast einstimmig zu Seehofers Nachfolger küren. Und der ließ es sich freilich nicht nehmen, das Parteivolk auf das große Ziel einzuschwören - die absolute Mehrheit: "Wir wollen den bayerischen Baum, der weiter nach oben wächst, weiter zu pflegen, und zwar am liebsten allein!"

Einer hält dem alten, neuen CSU-Chef aber weiter die Stange bzw. das Plakat: Andreas Spreng. Er hofft, dass der CSU-Chef künftig noch viel zu sagen hat, ein Ministerium in Berlin bekomme, denn nur er könne die "bayerischen Besonderheiten" dort umsetzen.

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