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ÖVP und FPÖ einigen sich auf Regierungsab­kom­men

15-12-2017, 20:41

ÖVP und FPÖ haben Freitagabend ihre Koalitionsverhandlungen abgeschlossen und sich auf ein gemeinsames Regierungsabkommen für die nächsten fünf Jahre geeinigt. Dies wurde der APA aus Verhandlungskreisen bestätigt. Der künftige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) werden gegen 21.00 Uhr mit ersten Statements an die Öffentlichkeit treten.

Die neue schwarz-türkis-blaue Bundesregierung soll am kommenden Montag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen angelobt werden. Für ÖVP und FPÖ ist es bereits die dritte gemeinsame Koalition. Von 2000 bis 2002 regierte Schwarz-Blau I, nach Neuwahlen folgte bis 2006 Schwarz-Blau II, wobei sich die Freiheitlichen 2005 während der laufenden Regierungsperiode in BZÖ und FPÖ zersplittert hatten. Das orange BZÖ blieb danach in der ÖVP-geführten Regierung, die Freiheitlichen um Strache gingen in Opposition.

Schwarz-Blau III

Nun folgt Schwarz-Blau III beziehungsweise Türkis-Blau, weil die Bundes-ÖVP im jüngsten Wahlkampf ihre Parteifarbe von Schwarz auf Türkis gewechselt hat. Die ÖVP übernimmt damit nach knapp elf Jahren das Amt des Bundeskanzlers wieder von der SPÖ. Seit durchgehend 31 Jahren ist die ÖVP bereits an der Macht, die längste Zeit davon allerdings als Juniorpartner in der Großen Koalition. Bei der Nationalratswahl 2017 wurde sie zum zweiten Mal seit 1966 stimmenstärkste Kraft und Erster. Kurz wird nach Wolfgang Schüssel (2000 bis 2006) der zweite ÖVP-Kanzler seit 1970. Insgesamt bringt es die ÖVP auf mehr als 55 Jahre Regierungsverantwortung und nunmehr sechs Bundeskanzler in der Zweiten Republik.

Für die Freiheitlichen handelt es sich um ihren vierten Eintritt in eine Regierung. Vor Schwarz-Blau Anfang der 2000er-Jahren befand sich die FPÖ von 1983 bis 1986 in einer Koalition mit der SPÖ. Jede FPÖ-Regierungsbeteiligung endete übrigens vor Ablauf der Regierungsperiode, keine schaffte mehr als drei Jahre.

Fahrplan für Samstag

Morgen, Samstag, tagen dann die Parteigremien ab 10 Uhr, danach soll in einer Pressekonferenz die Öffentlichkeit informiert werden. Dann müssen die Bundesparteileitungen Pakt & Personal absegnen, auch eine Stippvisite bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist geplant.

Die Regierungserklärung vor dem Nationalrat wird vermutlich am Mittwoch in Szene gehen. Darauf haben sich die Klubdirektoren der Fraktionen verständigt. Nach der Erklärung ist eine Debatte angesetzt, danach soll es auch schon zu Gesetzesbeschlüssen kommen.

 Der erste davon betrifft das Bundesministeriengesetz und teilt den neuen Ressortchefs gleich ihre Aufgabengebiete zu. Ferner wird ein gesetzliches Budgetprovisorium beschlossen. Schließlich ist noch die Konstituierung der noch offenen Ausschüsse geplant.

Feierstimmung kommt bei der ÖVP keine auf: "Trauerspiel", "höchst unbefriedigend das Ganze".

So und so ähnlich nahmen selbst deklarierte Kurz-Fans das Verhandlungsfinale zur Bildung einer neuen Bundesregierung am Freitag wahr. Der simple, wie völlig überraschende Grund: Die Ministerliste von ÖVP-Chef Sebastian Kurz, der sich seit Monaten akribisch auf die Übernahme des Bundeskanzleramtes vorbereitet hat, wollte sich partout am Tag vor der großen Einigungs-Pressekonferenz auf dem Wiener Kahlenberg nicht und nicht vervollständigen lassen.

Und das kam so: Die Absage von Casinos-Finanzchefin Bettina Glatz-Kremsner, die nach Wochen der Intensivverhandlungen mit der FPÖ nun doch nicht in die Politik wechseln will, hat den Kurz-Besetzungsplan völlig durcheinander gewirbelt.

Alle Termine standen längst fest, vom Gang zu Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Samstagmorgen bis hin zur Angelobung am Montag. Allein, es dürfte bis zum späten Freitagnachmittag keinen Finanzminister für die kommenden fünf Jahre gegeben haben. Für diesen Job vorgesehen war stets Glatz-Kremsner. Und die Suche nach einem Ersatz gestaltete sich für Sebastian Kurz durchaus herausfordernd.

Der Favorit von Kurz, Ex-Rechnungshofpräsident Josef Moser, ist bei den Bundesländern verhasst. Der Zentralist Moser stößt bei den Föderalisten in den Landesregierungen – vor allem im Westen Österreichs – auf einhellige Ablehnung.

So hieß es am Freitag aus Verhandlerkreisen, Moser werde wohl doch "nur" Justizminister und für Reformen zuständig.

Gerüchteküche

Und so ging die Suche weiter und weiter. Verschärfend kam hinzu, dass vorrangig nach einer Frau für das Finanzressort gesucht wurde. So fielen immer wieder neue Namen in der Gerüchteküche, mehr oder weniger glaubwürdig: Von Boston-Consulting-Chefin Antonella Mei-Pochtler bis zur Geschäftsführerin der Forschungsförderungsgesellschaft FFG, Henrietta Egerth-Stadlhuber, die eigentlich für das Wirtschaftsressort genannt worden war.

Kurz-Vertraute Elisabeth Köstinger soll die Bildung übernehmen, kam daher für Finanzen auch nicht in Frage. Detto bei einer weiteren Frau im Team Kurz: NÖ-Bauernbunddirektorin Claudia Tanner. Sie dürfte von Andrä Rupprechter das Landwirtschaftsressort übernehmen.

Zwei andere Szenarien wurden deshalb durchgespielt: Helga Berger, die fachlich hochkompetente Budgetsektionschefin zur Ministerin zu machen. Oder als Rückfallposition war auch noch immer denkbar, dass Sebastian Kurz Kanzler und Finanzminister wird. Zu guter Letzt wurde, um die Verwirrung perfekt zu machen, auch weiterhin mit dem Kremser Wirtschaftsprofessor Gottfried Haber oder Volksbanken-Chef Stefan Koren spekuliert.

Aus dem Rennen als Minister ist Noch-Innenminister Wolfgang Sobotka. Er wird nun Erster Nationalratspräsident, weil Köstinger in die Regierung wechselt.

Und ein weiterer Name sickerte am Freitagabend durch: Juliane Bogner-Strauß, Molekularbiologin und Professorin an der Technischen Uni Graz, soll ein eigenes Frauenministerium leiten. Die Agenden Familie und Jugend sollen dort angesiedelt werden. Die 46-Jährige ist über die Landesliste Steiermark für die ÖVP in den Nationalrat eingezogen.

Blaue Liste schon fix

Im Innenressort wechselt derweil nicht nur der Chef, sondern auch die Farbe. Neuer Innenminister wird FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl. Überhaupt ist die Ministerliste bei den Blauen schon länger fix.

Parteichef Heinz-Christian Strache wird Vizekanzler und soll zusätzlich die Agenden Personal und Sport bekommen. Strache muss also die schwierigen Beamtenverhandlungen führen. FPÖ-Vizechef Norbert Hofer wird Infrastrukturminister und bekommt die Verantwortung über ÖBB und Asfinag. Außenministerin wird Nahostexpertin Karin Kneissl.

Einer breiten Öffentlichkeit weniger bekannt sind der steirische FPÖ-Chef Mario Kunasek, er wird Verteidigungsminister, und die Unternehmensberaterin Beate Hartinger, ebenfalls aus der Steiermark (siehe Porträts rechts). Sie bekommt das mächtige Sozial-Ressort, in das zusätzlich die Gesundheitsagenden kommen.

Beate Hartinger-Klein
Foto: /Privat

"Wir müssen die neun Gebietskrankenkassen zusammenlegen". Mit dieser Aussage brach eine blaue Nationalrätin am 25. März 2002 eine veritable Kassen-Debatte vom Zaun. Ihr Name: Beate Hartinger. Nun, 15 Jahre ohne Kassenfusion später, soll die Grazerin ihr von der türkis-blauen Koalition aufgegriffenes Vorhaben in die Tat umsetzen – und zwar als Ministerin für Soziales und Gesundheit.

Ins Spiel gebracht hat sich die allerorts als "echte Expertin" bezeichnete 58-Jährige laut FPÖ-Kreisen selbst: Nach der Wahl wandte sie sich an einen Vertrauten von Parteichef Heinz-Christian Strache und fragte, ob die Blauen denn jemanden mit Know-How im Gesundheitsbereich bräuchten. Der Strache-Mann wiederum leitete ihr Interesse an seinen Chef weiter – wenig später verhandelte sie das türkis-blaue Gesundheitskapitel mit. Dabei war Hartingers Kontakt zur FPÖ laut Parteikreisen in den vergangenen Jahren eher abgekühlt, Mitte der 2000er trat die zweifache Mutter gar aus der FPÖ aus. Begonnen hatte die blaue Karriere Hartingers vor rund 20 Jahren in Graz: Der einstige Landes-Chef Michael Schmid holte die Controllerin des steirischen Krankenanstaltenverbandes in den Landtag, 1999 wechselte sie in den Nationalrat.

Vier Jahre später wurde die einstige Haider-Getreue – sie war auch am Putsch-Parteitag in Knittelfeld 2002 dabei – auf blauem Ticket Managerin des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger. Danach heuerte sie bei Deloitte an, ab 2011 arbeitete sie als Unternehmensberaterin. Wie tickt sie nun, die künftige Ministerin? "Bürgerlich ist sie", sagt ein ehemaliger Weggefährte. Nachsatz: "Aber schon auch freiheitlich, gell."

STEIERMARK-WAHL: KUNASEK (FPÖ)
Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

Richtig "greifbar" sei er als Mensch, ein Bierzelt-Politiker, paktfähig ohnehin. Fragt man nach , jenem Mann, der für die das Verteidigungsressort übernehmen soll, bekommt man oft ähnliche Antworten – nicht nur in der FPÖ: Kunasek sei einer, der nicht gern aneckt, heißt es allerorten.

Ob ihn das als Minister qualifiziert? Bei den einfachen Soldaten sei der 41-jährige Chef der Steirer-FP, derzeit karenzierter Unteroffizier, jedenfalls beliebt – er wäre seit Langem der erste Soldat im Ministersessel. Ob das auch für höhere Ränge im Ministerium gilt, ist freilich fraglich. In der Partei ist der gelernte Kfz-Mechaniker gut verankert, weil er die klassische Ochsentour hinter sich hat und weil er die FPÖ mit einem höchst nationalchauvinistischen Wahlkampf von der außerparlamentarischen Opposition in lichte Höhen geführt hat. 2015 holte er – Spitzname: "Supermario", Slogan: "Eure Chance für Revanche" – 27 Prozent für die Steirer-FP.

Klassische FP-Klaviatur

Dass das auch jeder andere Blaue geschafft hätte, wie die Konkurrenz unkt, sei dahingestellt – 2015 war Rot-Schwarz in der Steiermark ja massiv angezählt. Erreicht hat er das Traumergebnis jedenfalls mit dreisten blauen Fake-News: So wurde insinuiert, Moscheen würden mit Staatsgeld gebaut, Anti-Asyl-Sujets wurden mit martialischen Bildern aus PC-Spielen illustriert.

Dass die Konkurrenz ihm, meist in Jeans, Hemd und mit Gel im Haar, das nicht nachträgt, hat mit seiner Abgrenzungspolitk in der FPÖ zu tun: Er ist kein Burschenschafter; und jene, die in der Partei mit den Identitären liebäugelten, hat er der Partei verwiesen. Wie sagt ein Konkurrent: "Ein Ideologe ist er nicht gerade."

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