Der SPD-Bundesparteitag hat dem Vorsitzenden Martin Schulz grünes Licht für ergebnisoffene Gespräche mit der Union über die Bildung einer Bundesregierung in Deutschland gegeben. Die SPD fühle sich "verpflichtet, in Gesprächen auszuloten, ob und in welcher Form die SPD eine neue Bundesregierung mittragen kann", heißt es in dem Beschluss.
Der Parteitag folgte mit deutlicher Mehrheit der Linie der Parteiführung. Schulz hatte in seiner Grundsatzrede eindringlich für diese Linie geworben. Der Beschluss stellt aber klar, dass es für die Sozialdemokraten "keine Vorfestlegungen und keinen Automatismus" gibt.
Die SPD hat Martin Schulz zugleich erneut zum Parteivorsitzenden gewählt. Der 61-Jährige erhielt am Donnerstagabend in Berlin 81,9 Prozent der Stimmen. Damit blieb der gescheiterte deutsche Kanzlerkandidat deutlich unter dem Rekordergebnis von 100 Prozent, das er bei seiner ersten Wahl an die SPD-Spitze im März erhalten hatte. Damals ruhte auf Schulz die Hoffnung, er könne als Nachfolger von Sigmar Gabriel die SPD zu einem respektablen Ergebnis führen.
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Davor übte sich der Mann aus Würselen in Demut. Er habe privat und politisch schon so manches Auf und Ab hinter sich, doch "so ein Jahr habe ich noch nie erlebt". Der 61-Jährige übernehme die Verantwortung für das Wahlergebnis. Bei allen Menschen, die an die SPD geglaubt hätten, "bitte ich für meinen Anteil an dieser bitteren Niederlage um Entschuldigung", sagte Schulz. Applaus.
Und dann begann der Parteivorsitzende seinen Bauchladen auszupacken: Digitalisierung, Arbeitszeitregelung, Umweltschutz – alles soll reformiert werden, vor allem aber will sich Schulz um Europa kümmern – und es am besten bis 2025 mit einem Verfassungsantrag in die Vereinigten Staaten von Europa umwandeln. "Leute, Europa ist unsere Lebensversicherung", rief er den Delegierten zu.
Einer davon ist Bijan Kaffenberger, Kreistagsabgeordneter aus Darmstadt. Bei ihm kam das Europathema gut an, wenn auch zu spät. Das hätte Schulz im Wahlkampf stärker ausspielen sollen, sagte er zum KURIER.
Zu spät und zu kurz kam für andere die "GroKo" zur Sprache. Denn Koalition oder nicht Koalition, das fragten sich hier alle. Während für manche schon im Vorhinein "No GroKo" feststand, haderten jene, die etwas verändern wollen, aber auch sehen, wie ziellos die SPD derzeit umherirrt. Den Kurs fände man in der Opposition, sagt eine Genossin in rotem Rollkragenpullover und roten Schuhen. "Viele Menschen haben das Vertrauen in die SPD verloren, wissen nicht mehr, wofür sie steht."
Als Schulz das Thema nach fast 60 Minuten ansprach, versuchte er es mit Samthandschuhen, legte sie dann aber ab. "Wir müssen nicht um jeden Preis regieren", rief Schulz ins Plenum. "Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen."
Befriedigend fanden dies die wenigsten. "Wer soll hier noch was glauben?", kritisierte ein Genosse in der anschließenden Aussprache auf dem Podium – Schulz sei schon mal eingeknickt, als er Nein zur "GroKo" sagte und wieder nachgab.
Besonders viel Applaus bekam der Chef der SPD-Jugendorganisation (Jusos) Kevin Kühnert. "Die Erneuerung der SPD wird außerhalb einer Großen Koalition sein, oder sie wird nicht sein", sagte er. Für die SPD gebe es eine Verantwortung, "dass noch etwas übrig bleibt von diesem Laden".
CDU und CSU haben das Votum des SPD-Parteitags für Gespräche über eine Regierungsbildung begrüßt. "Es werden harte Verhandlungen, aber klar ist: Deutschland braucht eine stabile Regierung", betonte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer am Donnerstagabend.
Nach dem Abbruch der Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition von CDU/CSU, FDP und Grünen durch die Liberalen ist eine erneute Große Koalition die einzige Option - neben einer Minderheitsregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), bei der sich die Union für jede Entscheidung im Bundestag Mehrheiten suchen müssten.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt teilte mit: "Mit ihrer Entscheidung macht die SPD einen ersten Schritt aus der Schmollecke." Er erwarte jetzt echte Offenheit für Gespräche. "Es darf nicht sein, dass die SPD vordergründig grünes Licht gibt und hintenherum mit roten Linien blockiert." CDU-Bundesgeschäftsführer Klaus Schüler betonte: "Ziel der Union ist und bleibt es, eine verlässliche und stabile Regierung für unser Land zu bilden."
Der CDU-Vorstand werde am Sonntag und Montag über das weitere Vorgehen beraten. Geplant sind erste Gespräche der Spitzen von CDU, CSU und SPD in der kommenden Woche. CDU/CSU und SPD hatten bei der Bundestagswahl zusammen rund 14 Prozentpunkte verloren, die AfD war drittstärkste Kraft geworden.