Es waren zwei Worte, auf die die mehr als 600 Delegierten des SPD-Parteitags mehr als eine Stunde gewartet haben. Doch über die Große Koalition wollte Martin Schulz erst am Ende seiner Rede sprechen.
Davor übte sich der Mann aus Würselen in Demut. Er habe privat und politisch schon so manches Auf und Ab hinter sich, doch "so ein Jahr habe ich noch nie erlebt". Der 61-Jährige übernehme die Verantwortung für das Wahlergebnis. Bei allen Menschen, die an die SPD geglaubt hätten, "bitte ich für meinen Anteil an dieser bitteren Niederlage um Entschuldigung", sagte Schulz. Applaus.
Und dann begann der Parteivorsitzende seinen Bauchladen auszupacken: Digitalisierung, Arbeitszeitregelung, Umweltschutz – alles soll reformiert werden, vor allem aber will sich Schulz um Europa kümmern – und es am besten bis 2025 mit einem Verfassungsantrag in die Vereinigten Staaten von Europa umwandeln. "Leute, Europa ist unsere Lebensversicherung", rief er den Delegierten zu.
Einer davon ist Bijan Kaffenberger, Kreistagsabgeordneter aus Darmstadt. Bei ihm kam das Europathema gut an, wenn auch zu spät. Das hätte Schulz im Wahlkampf stärker ausspielen sollen, sagte er zum KURIER.
Zu spät und zu kurz kam für andere die "GroKo" zur Sprache. Denn Koalition oder nicht Koalition, das fragten sich hier alle. Während für manche schon im Vorhinein "No GroKo" feststand, haderten jene, die etwas verändern wollen, aber auch sehen, wie ziellos die SPD derzeit umherirrt. Den Kurs fände man in der Opposition, sagt eine Genossin in rotem Rollkragenpullover und roten Schuhen. "Viele Menschen haben das Vertrauen in die SPD verloren, wissen nicht mehr, wofür sie steht."
Als Schulz das Thema nach fast 60 Minuten ansprach, versuchte er es mit Samthandschuhen, legte sie dann aber ab. "Wir müssen nicht um jeden Preis regieren", rief Schulz ins Plenum. "Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen."
Befriedigend fanden dies die wenigsten. "Wer soll hier noch was glauben?", kritisierte ein Genosse in der anschließenden Aussprache auf dem Podium – Schulz sei schon mal eingeknickt, als er Nein zur "GroKo" sagte und wieder nachgab.
Besonders viel Applaus bekam der Chef der SPD-Jugendorganisation (Jusos) Kevin Kühnert. "Die Erneuerung der SPD wird außerhalb einer Großen Koalition sein, oder sie wird nicht sein", sagte er. Für die SPD gebe es eine Verantwortung, "dass noch etwas übrig bleibt von diesem Laden".