Alexander Van der Bellen, der nach seinen Worten "Eh-klar"-Präsident aller Österreicher, hat kommenden Montag ein Jahr hinter sich und die große Bewährungsprobe vor sich.
Der "unabhängige" Hausherr in der Hofburg, der mitansehen musste, wie seine Grünen aus dem Parlament flogen, durfte fast ein Jahr wahlkämpfen, ehe er am 4. Dezember 2016 zum Bundespräsidenten gewählt wurde.
"Mutig in die neuen Zeiten", hatte VdB bei seiner Angelobung am 26. Jänner eine Zeile aus der Bundeshymne zitiert. Wie mutig und geschickt der ehemalige Wirtschaftsprofessor im Umgang mit einer Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen agiert, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Am 20. Dezember könnte schon Angelobung sein.
Zuvor wagt er selbst einen Blick zurück: Van der Bellen mit Emanuelle Macron, mit Arnold Schwarzenegger, mit dem Papst – und zwischendurch immer wieder inmitten von Schülern und Studenten. Die Präsidentschaftskanzlei stellte gestern ein eigens angefertigtes Video online, das in schnellen Schnitten die ersten zwölf Monate seiner Ära in der Hofburg Revue passieren lässt. Der erste Bundespräsident mit grünen Wurzeln zog Freitag Van-der-Bellen-like Bilanz: Ein wenig selbstironisch, nachdenklich und mit ein wenig selbstzufriedenem Erstaunen über das Pensum das hinter ihm liegt: "Manchmal frage ich mich auch, wo war das, wann war das – und auch wer war das?" – "Ich war kaum einen Tag im Amt, da ist schon die erste Regierungskrise ausgebrochen. Ich habe in einem Jahr mehr erlebt als vielleicht manch anderer in sechs Amtsjahren."
Zu den Regierungsverhandlungen äußert er sich sehr zurückhaltend: "Es ist gelungen in vielen Gesprächen mit Herrn Kurz und Herrn Strache eine Vertrauenskultur aufzubauen." Die "will er beibehalten" und nicht durch Indiskretionen stören.
VdB spricht erstmals darüber, warum er Harald Vilimsky als Außenminister abgelehnt hat. Vilimsky sei als EU-Abgeordneter der FPÖ in einer Fraktion mit EU-Gegnern wie Marine Le Pen. "Es wäre schwierig, jemanden zu ernennen, der dieser Le-Pen-Fraktion angehört."
Neue Namen, die er von einem Regierungsamt ausschließen würde, will Van der Bellen nicht nennen. Aber: "Die vielen Gespräche, die ich hinter den Kulissen führe, dienen auch dazu abzutasten, wo die jeweiligen Schmerzgrenzen liegen." Fix ist, dass er alle Minister, "die ich noch nicht ausreichend persönlich kenne, davor in einem persönlichen Gespräch kennenlerne". Zuletzt war das bei Pamela Rendi-Wagner der Fall, "die ich noch nicht kannte".In der Terminfrage will der Bundespräsident nicht Druck machen und zieht sich auf die Formel zurück: "Es wäre wünschenswert, dass die Regierungsbildung vor Weihnachten abgeschlossen ist. Wichtiger ist aber eine inhaltliche Einigung."
Nicht nur als Präambel, sondern Europa als Querschnittsmaterie in den zentralen Kapiteln des Koalitionspakts. Dafür müsste Van der Bellen bei Kurz und Strache sorgen, das sei seine große Chance, sagt Politologe Peter Filzmaier. "Ein gutes Regierungsprogramm ist wichtiger als Symbolpolitik, wie eine Präambel oder das finstere Gesicht von Thomas Klestil."
Für Irmgard Griss, die im ersten Wahlgang im April 2016 fast 19 Prozent schaffte, zählen auch die Personen: "Da hat Van der Bellen definitiv eine Schlüsselrolle." Es werde entscheidend sein, wie er sich bei der Auswahl der Minister-Kandidaten verhält.
Konkurrent Norbert Hofer wird er wohl zum Infrastrukturminister ernennen müssen, Nahost-Expertin Karin Kneissl wahrscheinlich zur Außenministerin. Kneissl verglich ihn schon einmal wenig schmeichelhaft mit US-Präsident Trump. Drängt es auch FP-Mann Herbert Kickl in die Regierung, würde einer seiner schärfsten Kritiker vorstellig. VdBs missglückten Kopftuch-Sager, nannte Kickl einen "integrationspolitischen Amoklauf". VdB selbst gestand seinen Fehler nach einem wahren Shitstorm nur zögerlich ein.
Innen- und Außenministerium, aber auch Justiz und Finanz will er sich genau ansehen, sagte VdB am Rande seines Besuches beim Papst. Das seien die Schlüsselressorts, da müsse man mögliche Konsequenzen mitdenken. "Wir müssen das dann ja bis zu einem gewissen Grad mittragen", so Van der Bellen.