Der große Auftritt von Reza Zarrab vor einem Gericht in New York war für Mittwoch geplant. Und zwar nicht mehr als Angeklagter, sondern als Zeuge der Anklage. Offenbar hat der türkisch-iranische Geschäftsmann einen Deal mit der Staatsanwaltschaft geschlossen und so Strafmilderung erhalten. Löst der 34-Jährige nun seinen Part ein und packt über seine dubiosen Deals aus – samt Involvierung der Regierung in Ankara –, könnte es eng werden für Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine Entourage.
Und so soll Zarrabs System funktioniert haben: Der Iran lieferte Öl an die Türkei. Diese zahlte dafür Geld auf die staatliche Halkbank ein. Dort hob es der Businessman ab und kaufte Gold. Dieses brachte er entweder in den Iran, oder wechselte es wieder in Bargeld. Für diese Verschleierung seiner Geschäfte, die gegen die amerikanischen Sanktionen gegen den Iran verstießen, nutzte der "Gold-Boy" auch US-Banken in großem Stil. Zumindest Teile der Regierung in Ankara sollen von all dem nicht nur gewusst, sondern auch profitiert haben – in Form von Bestechungsgeldern in Millionenhöhe.
Angeklagt ist deswegen auch der frühere Wirtschaftsminister unter dem damaligen Premier Erdoğan, Mehmet Zafer Caglayan. In türkischen Medien wird bereits spekuliert, dass Erdoğan selbst, sein Sohn Bilal sowie namhafte frühere Minister als Zeugen vorgeladen werden könnten.
Denn Zarrab spielte auch in einer vier Jahre zurückliegenden Korruptionsaffäre in der Türkei die zentrale Rolle. Geschäftsleute und Politiker aus dem nächsten Umfeld Erdoğans standen damals in Verdacht. Vier Minister mussten gehen, danach ließ der heutige Staatschef die Ermittlungen niederschlagen – jetzt könnten sie im fernen Manhattan neu aufgerollt werden.
Deswegen trommeln maßgebliche Stellen in Ankara bereits seit Wochen gegen das Verfahren. Dieses sei "eine klare Verschwörung gegen die Türkei". In Wahrheit stecke der in den USA lebende Fethullah Gülen hinter der Sache. Der Prediger wird im Land am Bosporus für den Umsturzversuch im Juli 2016 verantwortlich gemacht.
Nicht nur politisch ist die Sache heikel für das System Erdoğan, auch wirtschaftlich und finanziell. Schon zu Prozessbeginn am Dienstag verlor die türkische Lira dramatisch. Hintergrund: Der Halkbank drohen empfindliche Geldbußen. Bei einem ähnlichen Verfahren wurde die französische BNP 2014 zu neun Milliarden Dollar (rund 7,5 Milliarden Euro) verdonnert.
Nicht nur in den USA eröffnet sich somit für Erdoğan und Co. eine Korruptionsfront, auch zu Hause. So wirft der Chef der Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, Leuten aus dem engsten familiären Umfeld des Präsidenten vor, insgesamt 15 Millionen Dollar (12,7 Millionen Euro) in eine Steueroase verschoben zu haben. Konkret geht es um Erdoğans Sohn Ahmet Burak, den Bruder des Staatschefs, Mustafa Erdoğan, einen Schwager sowie einen engen Mitarbeiter des Präsidenten. Sie sollen die Gelder zwischen Dezember 2011 und Jänner 2012 auf die Briefkastenfirma Bellway Limited auf der britischen Insel Isle of Man überwiesen haben.
Und laut den "Paradise Papers" sollen auch die Söhne des türkischen Premiers Binali Yildirim Geld steuerschonend auf Malta geparkt haben.