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Experte zerpflückt türkis-blaues Bildungspaket

29-11-2017, 12:39

Erst die gute Nachricht: „hat gute Ansätze und Maßnahmen, die längst überfällig sind“, sagt Bildungsforscher Stefan Hopmann von der Uni Wien zu den am Dienstagnachmittag präsentierten Maßnahmen von ÖVP und FPÖ. „Positiv ist etwa der Fokus auf die Berufsbildung oder die Schülerparlamente. Überfällig sind zudem eine klügere Ressourcenzuteilung als auch der Ausbau und die Aufwertung der Kindergärten“, so Hoppmann zum KURIER.

Doch die Stoßrichtung der anderen vorgestellten Maßnahmen sieht der Forscher extrem kritisch. „Ich hoffe bei Gott, dass man diesen Schwachsinn noch stoppen kann.“ Konkret meint Hopmann, die Maßnahmen, wie das Schulsystem generell verbessert werden soll. Angedacht sind, dass die Leistung von  Schulen und ihrer Lehrer bewertet werden sollen – an   den Leistungen der Schülern bei standardisierten Tests. Und die Ergebnisse sollen veröffentlicht werden.
„Das hat zwei Probleme: Man kann anhand solcher Daten nie und nimmer die Qualität einer Schule beschreiben. Das wurde umfassend erforscht. Und das zweite Problem: Wenn Lehrkräfte solche Beurteilungen kennen, gehen sie dorthin, wo es für sie leichter ist, zu unterrichten. Auch Eltern werden das  so machen, sie geben ihre Kinder in bessere Schulen. Und der Effekt ist, dass wir eine massive soziale Segregation bekommen, eine  massive Ungleichverteilung von Unterrichtsqualität. Das ist nicht meine Privatmeinung, sondern das Ergebnis weltweiter Bildungsforschung.“

Foto: KURIER/Jürg Christandl Bild: Stefan Hopmann

Und die Idee, Eltern Sozialleistungen zu kürzen, wenn die Kinder Schule schwänzen oder ähnliches, sei  ein Rückschritt: „Das Problem sind  nicht Migranten, nicht die Sprache, sondern Kinder in sozial prekären Verhältnissen, die ohne kulturelle oder soziale Ressourcen leben.  Die Idee, Eltern zu bestrafen gab es übrigens in Österreich schon vor 200 Jahren. Damals mit Prügelstrafen. Auch das ist damals gescheitert.“

"Nicht genügend"

Auch die Neos haben die schwarz-blauen Pläne in der Bildungspolitik mit einem "Nicht genügend" benotet. Klubchef Matthias Strolz sieht darin "echte Chancen-Killer für junge Menschen", wie er am Mittwoch in einer Pressekonferenz sagte. Kritik gab es nicht nur an der Wiedereinführung der Noten in der Volksschule, sondern auch an der Finanzierung sowie dem weiterhin bestehenden Einfluss der Politik.

"Wir sehen hier einige Schritte nach vorne, aber wesentlich mehr Schritte nach hinten", kommentierte Strolz die Vorhaben der Koalitionsverhandler ÖVP und FPÖ im Bildungsbereich. Positiv bewertete er zumindest das Ziel, Deutsch als gemeinsame Unterrichtssprache aufzuwerten. Ebenso goutierte er die Einführung des Unterrichtsfaches politische Bildung und Staatskunde sowie die Aufwertung der Lehre.

"Sehnsucht nach Zucht und Ordnung"

Eine echte Bildungswende sieht Strolz aber keineswegs, sondern vielmehr reaktionäre Standpunkte. So zeuge die Wiedereinführung der Ziffernnoten von einer "Sehnsucht nach Zucht und Ordnung". Und auch zukünftig werde wohl auch "der Landeshauptmann in der Klasse stehen", befürchtet der NEOS-Chef einen machtpolitischen Zugriff auf das Bildungssystem und Parteibuchwirtschaft bei der Direktorenbestellung.

"Die Spaltung der Gesellschaft mit Ghetto-Kindergärten und Brennpunktschulen wird sich weiter verstärkten", warnte Strolz ÖVP und FPÖ angesichts derer Bildungspläne. Das Gymnasium komme unter eine "Käseglocke", freie Schulen würden hingegen weiter links liegen gelassen. Und auch die Finanzierung liege durch ein Budgetloch von 600 Mio. Euro im Argen, was aber "weiterhin Peanuts in den Augen der Verhandler" sei.

Wie gewohnt bieten sich die Neos der künftigen Regierung nun als Ratgeber in der Bildungspolitik an: "Ich werde das Angebot erneuern, das Bildungsthema viel stärker ins Parlament zu ziehen." Aber auch mit den künftigen Oppositionsparteien will Strolz bei diesem Thema eng zusammenarbeiten. Allerdings gebe es derzeit weder von der SPÖ, noch von der Liste Pilz eine Rückmeldung.

Die gestern angekündigten Bildungspläne von FPÖ und ÖVP lösen wenig überraschend heftige Kontroversen aus. Die Bandbreite der Meinungen reicht von "großer Wurf" bis hin zur Angst, dass in den Schulen wieder eine rückwärtsgewandte Pädagogik aus den Sechzigerjahren Einzug halten wird. Während die einen also schon das Comeback des Rohrstaberls an die Wand malen und im Internet darüber witzeln, dass jede Kindergartenleiterin künftig eine bessere Ausbildung als die Regierungsspitze haben wird müssen, glauben die anderen an eine bessere Zukunft für das heimische Bildungssystem. 

Seriös einschätzen lassen sich die Pläne noch nicht wirklich. Kurz und Strache haben zwar ein paar Eckpfeiler eingeschlagen, Details blieben sie weitgehend schuldig. Für voreilige Schlüsse ist es also viel zu früh. Die neue Regierung wäre aber gut beraten, auch die Opposition und Experten außerhalb ihres eigenen Weltbildes in ihre Bildungsdebatten mit einzubeziehen. Bildungspolitik darf im Jahr 2017 keine ideologische Einbahnstraße mehr sein, vielmehr braucht es einen Wettbewerb der besten Ideen. Alles andere wäre tatsächlich rückwärtsgewandt und würde mehr schaden als nutzen.

Von Stefan Kaltenbrunner

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