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"Islamistisch motivierter Antisemitismus ist eine Gefahr für Europa"

27-11-2017, 18:00

„Ein Ende des Antisemitismus?“ – dieser Frage   geht eine  internationale  Konferenz   Mitte  Februar  in Wien nach, die vom European Jewish Congress  (EJC)  und der Universität Wien  in Kooperation den der New York University und der Tel Aviv-University   organisiert wird.  Über  die Ziele und die Situation der Juden in Europa sprach der  KURIER mit Ariel Muzicant, dem   Vizepräsidenten des EJC.

KURIER: Herr Muzicant, was  erwarten Sie von   der  Konferenz?
Ariel Muzicant:
Es soll ein Handbuch entstehen, wie  Antisemitismus bekämpft werden kann.  Wir sind  mehr als  70 Jahre  nach der Shoa, aber immer noch nicht dort, sagen zu können, der Antisemitismus gehöre der Vergangenheit an. Antisemitismus ist wie eine Hydra,  jetzt  geht es um  die Frage, wie schlägt man der Hydra alle Köpfe ab.  

Mit einem Handlungskatalog  wollen Sie die  Politik in die Pflicht nehmen?
Nicht nur die Politik, auch   die Zivilgesellschaft.  Das kann ein Handbuch für die islamische Gemeinde in Österreich oder sonst wo sein, um  aufzuzeigen,  wie sie gegen den massiv zunehmenden Antisemitismus durch  Zuwanderung  oder  auch   gegen  die Aufhetzung durch Erdoğan  und seiner AKP vorgehen sollen.
 
Was ist im Kampf gegen Antisemitismus versäumt worden?
Es gibt eine große Diskrepanz  zwischen dem, was  Eliten oder  Politiker  sagen   und wollen, und was an der Basis geschieht.  Im Kampf gegen den  Antisemitismus hat es nie einen Durchbruch gegeben.  Der traditionelle von rechts kommende Antisemitismus   nimmt ab,  er  zeigt sich   nach wie vor    über Facebook und bei schlagenden Verbindungsbrüdern.  Er ist nicht mehr toleriert, diese Delikte werden verfolgt. Es  gibt  immer wieder Schritte nach vor und auch Schritte zurück.

Ist das ein Schritt zurück, dass es unter FPÖ-Parlamentariern 20 Burschenschafter gibt?
Keine Frage. Aber sie  werden sich  kaum  die Blöße geben,  Antisemitismus  öffentlich zu zeigen. Sie   wissen, dass sie dann zurücktreten müssen, was der Fall Hübner zeigt (der außenpolitische Sprecher der FPÖ, Johannes Hübner, trat bei der Nationalratswahl  im Oktober nicht mehr an,  weil er vor Rechtsextremen in Deutschland   antisemitisch konnotierte Anspielungen  machte; er verhöhnte den Namen Kelsen,  Anm.). Gerade dieser Fall zeigt:  Wenn sie unbeobachtet sind, rutscht es ihnen heraus, das  Heben der  rechten Hand  oder die Diffamierung von Namen. Aber man muss auch andere sehen, die antisemitisch agiert haben.  Etwa die Aktionsgemeinschaft am Juridicum (Mitglieder der ÖVP-nahen  Aktionsgemeinschaft  posteten vor Monaten antisemitische, rassistische und NS-verharmlosende Aussagen, Anm.). Auch der Stammtisch  der SPÖ ist nicht gefeit davor. Die FPÖ ragt aber heraus, weil zu viele ihrer Funktionäre ihre Geisteshaltung und Ideologie nicht geändert haben.

Sie werden die künftige Regierung genau beobachten?
Ich werde jene Mitglieder der Regierung beobachten, die aus der rechten Ecke kommen. Ich bin auch sehr gespannt, wie ein    eigener Abgeordneter,  Herr Martin Engelberg (ÖVP-Abgeordnerer. Engelberg kandidierte bei der Wahl der Israelitischen Kultusgemeinde 2012 auf einer eigenen Liste, Anm.),  uns das verkaufen wird.

Macht die EU genug?
Eine  Umfrage der Grundrechte-Agentur  in acht EU-Staaten   zeigt, dass  jeweils mehr  als  50 Prozent der Juden    keine Zukunft  in Europa sehen und  weggehen wollen.   Die Regierungen haben  mittlerweile aber begriffen,  dass sie  Juden schützen müssen. Gleichzeitig  hat sich    ihre Situation verschlechtert, weil der Antisemitismus zunimmt.  Die Situation der  Juden ist  der Lackmustest für Europa.

Was  soll die  EU konkret  tun?
Juden,  die bleiben, werden hier in Angst leben und Angriffen ausgesetzt sein. Diese Angriffe werden nicht auf Juden beschränkt sein. Beim  Terror richteten sich die Angriffe zunächst gegen  Juden, als nicht-jüdische Ziele betroffen waren, wachte Europa auf.  Europa begann zu verstehen, dass es nicht ein Krieg gegen die Juden ist, sondern ein Krieg gegen die europäischen Werte.   Hier ist die  Initiative der Europäer gefragt.

Welche Initiativen soll es geben?
Es reicht nicht, dafür zu sorgen, dass die Mittelmeerroute gesperrt wird.  Drei große Länder,  die  Türkei, Ägypten und Algerien,    sind politisch instabil.   Wenn Konflikte ausbrechen oder dort  ein Putsch passiert,  stehen  bis zu 240 Millionen potenzielle Flüchtlinge vor Europa. Die  EU  sieht  das Problem, sie verschließt aber  die Augen und diskutiert über den Brexit.  

Sie halten den  islamistisch motivierten Antisemitismus für  gefährlicher als den Antisemitismus von rechts?
Ja. Der rechtsextreme Antisemitismus ist ungustiös, aber nicht lebensbedrohend. Der islamistisch motivierte Antisemitismus ist lebensbedrohend und eine Gefahr für ganz Europa,  nicht nur für  Juden.   Über kurz oder lang trifft es  Frauen, die Gesellschaft, unsere Demokratie und Freiheit. Wir Juden sind die ersten, die das spüren, deswegen melden  wir uns zu Wort, deswegen sage ich, wacht auf und hört die Signale. Es braucht globale Schritte gegen die Fluchtbewegung aus Afrika und Asien   und  nicht kosmetische „Pflaster“. Europa braucht eine Strategie, Bewusstseinsbildung und viel Geld, um die Migrationsströme einzudämmen.

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