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Lunacek: "Ich bin eine Kämpfernatur"

13-08-2017, 06:00

Es war am 17. Mai 2017, gegen 23.30 Uhr. Es war die Straßburg-Woche des EU-Parlaments, und Ulrike Lunacek war gerade vom gemeinsamen Abendessen mit Abgeordnetenkollegen aus Katalonien in ihr Hotelzimmer zurückgekommen.

Gewohnheitsmäßig warf sie vor dem Schlafengehen noch einen Blick aufs iPad, um die Nachrichtenlage zu screenen.

Plötzlich war sie hellwach. "Glawischnig vor Rücktritt", stand da. Im selben Moment meldete sich der Bundesgeschäftsführer der Partei, Robert Luschnik, aus Wien am Handy und gab ihr etwas zum Nachdenken für die Nacht: "Ulrike, bitte überlege, ob du es machst."

Drei Monate später, es ist Samstag, der 12. August 2017 um 10 Uhr vormittags. Ulrike Lunacek klettert vor ihrer Wohnung in der Leopoldstadt in den Kampagnenbus der Grünen. Außen prangt ihr Konterfei. An diesem Samstag beginnt ihre erste Ausfahrt als Spitzenkandidatin in den wohl schwierigsten Wahlkampf seit Bestehen der Grünen.

Der KURIER ist dabei.

Erstes Ziel: Stainz in der Weststeiermark. Dort findet das alljährliche Schilcherfest statt. Lunacek sitzt gut gelaunt und voller Zuversicht im Bus.

Das mag auf den ersten Blick verwundern, ist aber auf den zweiten nachvollziehbar: Lunacek hat die Grünen an ihrem Tiefpunkt übernommen. Sie sind abgesackt auf sechs bis sieben Prozent in den Umfragen und geschwächt durch die Gegenkandidatur eines ihrer bekanntesten Gesichter. Ab nun kann es eigentlich nur noch besser werden, auch wenn das Wahlergebnis von 2013 unerreichbar scheint. Doch jedes Zehntelprozentpünktchen, das Lunacek an verlorenem Terrain zurückgewinnt, wird ihr Verdienst sein.

Badeanzug

"Ich bin eine Kämpfernatur", sagt sie auf der Fahrt von Wien ins Steirische. Das hat sie vom Sport. Lunacek war früher Synchronschwimmerin und führt immer noch stets Badeanzug oder Neoprenanzug mit, weil sie es nur schwer schafft, an einem Gewässer vorbeizufahren, ohne hineinzuspringen.

Für die grüne Wahlkampfcrew hat Lunacek frische Feigen aus dem Garten ihrer Mutter mitgebracht. Frau Lunacek senior ist 88, lebt in Klosterneuburg und verfolgt das politische Geschehen mit großem Interesse. "Sie will alles wissen, stellt mir unheimlich viele Fragen und gibt mir Feedback, wenn sie mich im Fernsehen sieht", erzählt Ulrike Lunacek. Außerdem freut sie sich, dass sie ihre Tochter nun öfter sehen wird, wenn sie vom EU-Parlament in den Nationalrat zurückkehrt.

In Stainz wartet eine Gruppe lokaler Grün-Politiker auf den Tourbus, darunter der steirische Landtagsklubobmann Lambert Schönleitner. Das Volksfest ist voll in Gang, der Sound von "Atemlos durch die Nacht" und der rauchige Geruch von Hühnergrill liegen in der Luft.

An den ersten beiden Tischen zeigen sich die Leute wenig interessiert an einem Gespräch. Doch Lunacek lässt sich nicht entmutigen. Gemeinsam mit Schönleitner stellt sie sich beim nächsten Tisch vor. Zwei Ehepaare aus der Obersteiermark steigen freudig auf ein Gespräch ein.

Foto: SEPA.Media | Josef Bollwein Heutzutage werde der Wert von Lebensmitteln viel zu gering geschätzt, sagen sie. "Der Bauer bekommt zu wenig für seine Arbeit, der Bäcker steht in aller Früh auf, und die Leute werfen Brot einfach weg." Bei Joghurt werde nur aufs Ablaufdatum geschaut und nicht einmal der Deckel aufgemacht, um zu prüfen, ob es wirklich ungenießbar ist. Lunacek nickt. Das liegt voll auf grüner Linie für nachhaltigen Bio-Landbau.

Gaskraftwerke

Der nächste Tisch ist wieder schwieriger. "Die Grünen dürfen nicht immer nur dagegen sein", sagt Martin Niggast, der mit Frau und Tochter zum Fest gekommen ist. "Das hat man beim Murkraftwerk gesehen. Wenn man das nicht baut, muss das Gaskraftwerk zehn Kilometer weiter unten eben den Strom liefern." Lunacek entgegnet, dass die Grünen nicht grundsätzlich gegen Wasserkraft seien, dass es aber inzwischen Turbinen gebe, wo man keine Staumauern mehr zu bauen brauche.

Foto: SEPA.Media | Josef Bollwein Walter Gafgo, ein Pensionist aus Stainz, erzählt, seine Schwester werde Pilz wählen, "weil er ein Aufdecker ist". Das hört Lunacek ungern. Wie gerufen kommt die Aufforderung zu einem Tänzchen. Zuerst spielt die Kapelle "Halleluja" und dann "Jailhouse Rock". – "Wenn ihr das auch noch tanzt, dann gewinnt ihr vielleicht sogar noch ein paar Stimmen", sagt der Kapellmeister ins Mikro. Lunacek wirbelt über die Kirtags-Bühne. "Es macht Spaß", resümiert sie auf dem Weg zurück zum Bus. Es geht weiter ins Ausseer Land.

Die Aufholjagd hat begonnen.

Nachdem ÖVP-Obmann Sebastian Kurz eine Konfrontation (mit Kanzler Christian Kern im ORF-Radio) abgesagt hat, fordert die grüne Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek Kurz auf, bei ihr "nicht zu kneifen".

Lunacek im KURIER-Gespräch: "Es wäre erstaunlich, wenn Österreichs Europaminister einer Debatte mit der Vizepräsidentin des EU-Parlaments aus dem Weg ginge".

Lunacek hat einiges mit Kurz zu besprechen. Eine Neuauflage von Schwarz-Blau zum Beispiel. Lunacek: "Eine Regierungsbeteiligung der FPÖ wäre zwar nicht mehr so ein Sündenfall wie im Jahr 2000, weil es inzwischen auch andere europafeindliche Regierungen gibt. Aber mit Schwarz-Blau würde Österreich innerhalb der Union nicht mehr zu den Ländern gehören, die an gemeinsamen Lösungen arbeiten, sondern zu denen, die nationalistisch vorgehen. Österreich würde nicht zu Frankreich und Deutschland, sondern zu Ungarn und Polen gehören. Das Land würde nicht mehr als verlässlich gelten, der positive Effekt der Wahl Van der Bellens zum Bundespräsidenten wäre weg." Lunacek erinnert daran, dass Österreich mit der Wahl Van der Bellens das erste Land war, das die Negativ-Serie von Brexit und Trump-Sieg durchbrochen hat. EU-Abgeordnete würden sie nun ungläubig fragen, ob es stimme, dass nun plötzlich eine FPÖ-Regierungsbeteiligung im Raum stehe.

In den Nationalrat will Lunacek etwas von der Geisteshaltung, die im EU-Parlament herrscht, einbringen. Die Grünen seien in Österreich ohnehin stets konstruktiv gewesen, und sie hofft, dass mit den vielen neuen Abgeordneten in SPÖ und ÖVP auch dort Bereitschaft zur Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg einkehrt.

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