Es sei der "entscheidende Sieg im Kampf gegen den IS", ließ US-Außenminister Rex Tillerson am 20. Oktober verlauten. Nach vier Monaten hatten die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) mit Hilfe der US Air Force gerade die letzte Großstadt unter der Kontrolle des IS für befreit erklärt.
Was bisher kaum bekannt war: Wenige Tage zuvor hatte ein Konvoi aus rund 150 Bussen und Lkw Raqqa verlassen. Der Deal war von örtlichen Offiziellen, der kurdisch-arabischen Allianz SDF und der US-geführten Anti-IS-Koalition ausverhandelt worden. Um Zivilisten zu schützen und weitere Kämpfe zu vermeiden, wie es hieß. Wer genau sich im Konvoi befand, war lange Zeit unklar. Details wurden nicht bekannt gegeben. Nur ausländische Kämpfer, so die offizielle Version, sollte die Flucht aus Raqqa nicht gestattet werden.
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In einer aufwendigen Recherche unter dem Titel "Raqqas schmutziges Geheimnis" hat die BBC nun die genauen Umstände dieses einmaligen Konvois aufgeklärt: Demnach handelte es sich dabei um Hunderte mitunter hochrangige IS-Kämpfer und Tausende ihrer Angehörige, die die Stadt im Norden Syriens unbehelligt verlassen konnten. Und: Auch Staatsbürger anderer Länder als Syrien und Irak, sogenannte "Foreign Fighters", sollen sich unter den Flüchtenden befunden haben. Die meisten sind nun über ganz Syrien zerstreut, einige kamen sogar bis in die Türkei, an deren Grenze aktuell vermehrt Schleppertätigkeiten festgestellt werden.
Die Abmachung war so geheim, dass nicht einmal die angeheuerten LKW- und Busfahrer über die genauen Hintergründe ihres Auftrags informiert waren, berichtet die BBC. Man hätte ihm gesagt, der Auftrag würde lediglich sechs Stunden dauern, wird Abu Fawzi, einer der Fahrer des Konvois im BBC-Bericht zitiert. Stattdessen sei er drei Tage lang durch die Wüste gefahren, mit bis auf die Zähne bewaffnete IS-Kämpfern als Fracht. Ein anderer Fahrer erklärt, der Konvoi sei bis zu sechs Kilometer lang gewesen, darunter 50 Lkw, 13 Busse und mehr als 100 Fahrzeuge des IS selbst. Die IS-Kämpfer hätten dabei nicht nur ihre persönlichen Waffen mitgenommen, ganze Trucks seien mit Munition und Sprengstoff beladen worden. Insgesamt, so die BBC, wurden rund 4000 Personen aus Raqqa gebracht.
Der ehemalige Geheimdienstchef des IS, der inzwischen in Haft sitzt, bestätigte der BBC, dass darunter auch zahlreiche "Foreign Fighters" waren. Von mehreren Dutzend ist in dem Bericht die Rede.
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Die IS-Kämpfer hatten Raqqa im Jänner 2014 erobert und später zur inoffiziellen Hauptstadt ihres selbsternannten "Kalifats" gemacht. Die französische Verteidigungsministerin Florence Parlny hatte Mitte Oktober angesichts der Kämpfe um Raqqa noch gesagt, dort müsse "ein Maximum an Dschihadisten neutralisiert" werden. "Wenn Dschihadisten in diesen Kämpfen umkommen, umso besser", hatte sie hinzugefügt.
Ausgehend von Raqqa, wo vor dem Konflikt rund 200.000 Menschen lebten, plante der IS zudem Anschläge in der ganzen Welt. Dass die jahrtausendealten Stadt im Euphrat-Tal nun unter Kontrolle des SDF ist, ist zwar auch dem Deal zu verdanken. Andererseits konnten sich so Hunderte Kämpfer in IS-kontrolliertes Gebiet zurückziehen. Vor dem Anrücken der Anti-IS-Koalition hatten der IS die Stadt noch mit Sprengfallen vermint. Nach der Rückeroberung der ehemaligen IS-Hochburg am 17. Oktober hatten die Sicherheitskräfte die Stadt vollständig abgeriegelt, um in den Häusern platzierte Bomben und Minen des IS zu entschärfen.