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Internationale Pressestimmen zur Nationalratswahl 2017

1-01-1970, 00:00

“Die Welt” (Berlin)

“Kurz’ Strategie, der FPÖ gerade beim Thema Zuwanderung und innere Sicherheit das Wasser abzugraben, indem er die Argumente und Lösungsvorschläge der Rechten weitgehend übernahm und lediglich etwas weniger rabiat artikulierte, ist nur bedingt aufgegangen. Denn die FPÖ hat bei dieser Wahl im Vergleich zu 2013 beinahe ebenso so viele Stimmen dazugewonnen wie Kurz mit seiner Neuen Volkspartei. Der vermeintliche “Wunderwuzzi” der Konservativen hat die harte Rechte endgültig salonfähig gemacht. Alle, die in Deutschland offene rechte Flanken mit möglichst rechts rumpelnder Rhetorik schließen möchten, sollten das Wahlergebnis in Österreich deshalb noch einmal gründlich analysieren.”

“Die Zeit” (online)

“Der Wahlausgang bedeutet jedoch mehr als bloß einen Wechsel an der Regierungsspitze: In Österreich hat sich eine tektonische Verschiebung ereignet. Das linke politische Lager wurde dezimiert, da auch die Grünen nach einer Parteispaltung beinahe neun Prozent verloren haben und nach gegenwärtigem Stand an der Vierprozenthürde scheiterten und aus dem Parlament fliegen werden – endgültig wird das erst nach der Auszählung aller Briefwahlstimmen am Donnerstag feststehen. (…) Sebastian Kurz hat nicht viel Zeit zu verlieren, mit den Freiheitlichen handelseins zu werden. Nach mehreren Anläufen ist es für deren Parteichef Heinz-Christian Strache höchste Zeit, Regierungsposten für blaue Funktionäre herauszuholen. (…)

In dieser Konstellation wird Österreich wahrscheinlich langsam aus dem europäischen Mainstream driften – obwohl das Land in der zweiten Jahreshälfte 2018 in der EU den Ratsvorsitz übernimmt – und sich vorsichtig den Visegrád-Staaten anbiedern. Denn die Agenda, der Kurz seinen Wahlsieg verdankt, besteht hauptsächlich aus einer restriktiven Flüchtlingspolitik, die sich ganz an dem Kurs der nordöstlichen Nachbarstaaten orientiert. Geschickt hatte der Außenminister seine Machtübernahme in Partei und Regierung zumindest zwei Jahre lang vorbereitet. Und von Anfang an stand dabei fest: Er würde nur die Politik der freiheitlichen Populisten übernehmen müssen, um bei Wahlen mit dem Sieg belohnt zu werden. Für die Volkspartei entpuppte sich das Thema zur Wunderwaffe, der die Genossen nur wenig entgegensetzen konnten. Der künftige Regierungschef wird auch weiter darauf setzen, weil dadurch sein eigentliches Ziel, den sozialdemokratischen Versorgungsstaat zurückzudrängen, überschattet wird und leichter umsetzbar wird.”

“Liberation” (Paris)

“Die Österreicher scheinen dieser jahrelangen Großen Koalition der Sozialdemokraten und Konservativen müde zu sein. Ein Bündnis aus Konservativen und Rechtsaußen ist also möglich. Die beiden Parteien können sich zwar nicht ausstehen, surfen aber auf derselben flüchtlingsfeindlichen Welle – die FPÖ warf (dem Spitzenkandidaten der ÖVP Sebastian) Kurz vor, ihre Wahlkampfthemen kopiert zu haben. Aber am Ende liegen die beiden Parteien mit ihren Positionen oft auf derselben Linie.”

“Politico” (Brüssel)

“Was beim Aufstieg von Kurz besonders ins Auge sticht, ist, dass er die Wahl gewinnen konnte, indem er Binsenweisheiten zum Umgang mit Populisten in den Wind geschlagen hat. Politikberater in ganz Europa warnen gemäßigte Politiker nämlich davor, die Politik und Rhetorik von rechtsextremen Parteien zu kopieren, weil die Wähler lieber beim Original blieben. Kurz, der die fade ÖVP in den vergangenen Monaten nach Belieben umgestaltete, ja sogar die Parteifarbe von schwarz zu einem dezenten türkis änderte, bewies, dass das Klonen von populistischen Positionen unter dem richtigen Anführer zum Erfolg führen kann. Auf diese Weise scheint er die Wähler davon überzeugt zu haben, dass er und seine Partei Proponenten des Wandels sind, obwohl sie seit dem Jahr 1987, dem Jahr nach Kurz’ Geburt, durchgehend in der Regierung saßen.

“Delo” (Ljubljana)

“Der Vorwurf, er hätte den Freiheitlichen das Wahlkampfthema “gestohlen” stimmt: Dem blutjungen Anführer der erneuerten Volkspartei Sebastian Kurz ist es gelungen, mit seiner Anti-Flüchtlingspolitik seine Partei vor dem totalen Desaster zu retten, das ihr laut Umfragen noch vor einem halben Jahr gedroht hatte. Vor den Wahlen klang Kurz fast schon so wie der Anführer der Freiheitlichen, Heinz-Christian Strache. Doch diese Verschiebung betraf nicht nur ihn. Sogar der bisherige sozialdemokratische Kanzler Christian Kurz, den man als überaus flüchtlingsfreundlichen Direktor der österreichischen Eisenbahnen zum “Kanzler der Herzen” ernannt hatte, sprach dieser Tage wie Kurz in ruhigeren Tagen. Jetzt soll noch wer sagen, dass die Flüchtlingswelle keinen Schaden verursacht hat.”

“Vecer” (Maribor)

“Es fällt ins Auge, dass schon die bisherige rot-schwarze Koalition nach rechts geschielt hat. In den vergangenen Monaten traf sie Entscheidungen, als wären sie vom islamfeindlichen und europaskeptischen Rechtspolitiker Strache diktiert worden. Etwa die Verlängerung der Kontrollen an der Schengen-Binnengrenze, auch jener zu Slowenien, wo teilweise sogar ein Zaun errichtet wurde. Kurz gehört auch zu jenen mit den größten Verdiensten dafür, dass die Balkan-Flüchtlingsroute hermetisch geschlossen wurde. Es stimmt schon, dass Österreich und die Welt nicht untergehen werden, wenn Kurz Strache in seine Regierung aufnehmen wird. Brüssel wird die bittere Pille schlucken und weiterhin Selbstbeschäftigung betreiben, während immer mehr von Europa in Europaphobie und Nationalismus rutscht.”

La Repubblica” (Rom)

“Österreich, eines der reichsten und glücklichsten Länder der Welt (laut dem World Happiness Report), zieht nach rechts und jagt dabei den Phantomen seiner Ängste hinterher. Jetzt könnte sich Österreich von Brüssel abwenden, sich Warschau und Budapest anschließen und somit Mitglied jenes Kreises von Euro-Egotisten werden, die unter dem Begriff “Visegrad-Gruppe” bekannt ist. Gemeinsam haben sie alle eine arrogante mentale und politische Verschlossenheit gegenüber der Welt im Wandel”.

“Corriere della Sera” (Mailand)

“Im Herzen Europas gibt es ein reiches, kleines Land, das wegen seiner Kultur, Geschichte und Tradition besonders relevant ist, in dem sechs von zehn Bürgern zu einem politischen Vorschlag Ja gesagt haben, der exklusiv auf Ablehnung der Einwanderung, Kampf gegen die islamische Bedrohung und Toleranz Null gegenüber den Flüchtlingen basiert. Das ist ein klares Signal dafür, wie in Europa die Trennlinie zwischen konservativen und rechtsextremen Kräften immer dünner wird. Immer mehr gemäßigte Parteien sind bereit, die harte Linie in punkto Migranten, Islam und interne Sicherheit zu beschreiten”.

“La Stampa” (Turin)

“Jung und schön: Sebastian Kurz ist die alpine Variante von Emmanuel Macron, Justin Trudeau und Leo Varadkar. Sie sind alle Beispiele einer Welle der Generationenverjüngung in Europa und im Westen. Kurz hat die gemäßigten Kräfte in Richtung Populismus gedrängt. Er hat somit den wahren Populisten, der FPÖ von Heinz-Christian Strache, Stimmen entzogen. (…) Italien muss bereit sein, mit der neuen österreichischen Regierung auf bilateraler Ebene zu verhandeln und dies im Geist voller Kooperation, wenn möglich. Wenn nicht, soll es zu einem harten Konfrontationskurs kommen. Im Europa von Schengen gibt es keinen Platz für einen dem Verkehr verschlossenen Brenner”.

“Il Giornale” (Mailand)

“Eine Regierung Kurz-Strache wäre das am stärksten rechtsorientierte Kabinett in ganz Europa. Das wäre das logische Ende der letzten Ereignisse in Österreich, nachdem der Nationalist Hofer im vergangenen Jahr nur um ein Haar die Präsidentschaftswahl verloren hatte. Mit Reaktionen aus Europa ist nicht zu rechnen. Nach dem Wahlerfolg der AfD in Deutschland sowie der Anti-Migrationsparteien in Skandinavien und den ausländerfeindlichen Positionen der Visegrad-Länder hat sich Europa an das Voranschreiten einer gewissen Form von Nationalpopulismus überall gewöhnt”.

“Il Messaggero” (Rom)

Mit einer Regierung Kurz scheint ein Zusammenstoß zwischen Italien und Österreich im Bereich Einwanderung unvermeidbar. Konflikte wird es mit Italien bestimmt am Brenner geben, wo Kontrollen durchgeführt werden, und in Tarvis, wo Österreich stets behauptet, dass nicht registrierte Migranten aus dem Mittelmeerraum die österreichische Grenze überschreiten”.

(APA/Red.)

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