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Das war mein Wahlkampf: Blitzlichter hinter die Kulissen

15-10-2017, 06:00

Ein Blick hinter die Bühne in elf Schlaglichtern:

Wie ist Kurz, wenn keine Kamera an ist?

Foto: /BMeiA/Arno Melicharek Nicht  viel anders, aber das liegt auch daran, dass er selten ohne  unterwegs ist. Dass er jüngst nach New York einmal mehr Holzklasse flog, postet sein Team noch vor Abflug auf  Instagram. Sebastian Kurz ist immer optik-minded. Sichtlich müde von einem  Trip nach London knipst er auch  nach einem 16-Stunden-Tag beim Interview  seinen Wie-wirke-ich-Instinkt binnen Sekunden an. Der KURIER-Fotograf  will ihn am Fenster seines Büros Richtung Kanzleramt ablichten. „Welchen Ausschnitt nehmen Sie? Hüfthoch?“ Dementsprechend platziert er seine Hände zur  Pose Merkel-Raute light.

Freundlich, aber fokussiert  bleibt Kurz auch, wenn er auf Reisen gerne noch auf einen Drink an der Hotelbar abhängt. Leicht genervt wirkt er zuletzt nur, als ruchbar wird, dass direkt im Außenamt am Drehbuch für  die Machtübernahme in der ÖVP mitgeschrieben wurde. Kurz weiß, wann es geboten ist, Kameras besser zu meiden. Dem  ersten Ärger  weicht Nachdenklichkeit. Sagen will er dazu aber  keinen Ton.

(Josef Votzi)

Gute Laune unter erschwerten Bedingungen

„Ist der Bundeskanzler traurig, wenn er dauernd beleidigt wird?“, wollte ein kleines Mädchen kürzlich von mir wissen. Traurigkeit ist – ebenso wie Dankbarkeit (©Kreisky) – keine politische Kategorie, aber ein gewisser Grant wäre bei Christian Kern durchaus nachvollziehbar.

Eine Woche nach der Verhaftung Tal Silbersteins startete Kern seine Wahlkampf-Tour mit Bus in der Steiermark.  Da stand er wohlwollend nickend im Slim-Fit-Anzug da, als ihm zu Ehren eine Blaskapelle aufspielte, er schnitt Schinken, kostete hausgemachte Schnäpse, verzog keine Miene, wenn betagte Frauen  „den feschen Kanzler“ fürs Selfie etwas zu weit unterhalb der Taille umarmten.

Da draußen, beim Wähler, war Kern betont gut drauf, hörte zu, hatte Schmäh. Gegenüber Journalisten nicht immer. Gefragt nach den schlechten SPÖ-Umfragewerten kam da etwa ein harsches: „Sie sind die einzige, die das interessiert. Für die Leute und für mich gibt es Wichtigeres.“

(Raffaela Lindorfer)

Gusenbauer und sein Beitrag für die SPÖ

„Wir sollten mehr auf Rot-Grün-Neos setzen“, sagt  Alfred Gusenbauer zum Wahlkampf. Es ist Anfang Juni, er mischt sich ganz selbstverständlich unter die Kanzler-Delegation beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg. „Gusi“ gehört zum innersten Kreis. Selbstverständlich  sitzt er Christian Kern auch beim Abendessen mit den Journalisten gegenüber. Vertrauter Austausch, Stimmung top.

Zweieinhalb Monate später will Kern nichts mehr von ihm wissen: „Die Rolle Gusenbauers wird überbewertet. Das letzte Gespräch mit ihm liegt so lange zurück, ich kann mich gar nicht mehr erinnern.“ Gusenbauer hat ihm seinen Geschäftspartner Tal Silberstein empfohlen. Soeben taucht das wenig schmeichelhafte  „Prinzessinnen“-Papier auf, verfasst von einem Gusenbauer-Intimus. Der rote Wahlkampf ist implodiert.

Gusenbauer bleibt extra dry: „Ich bin ein gesetzestreuer, österreichischer Kaufmann und Steuerzahler und leiste, wo ich kann, meinen Beitrag für die Sozialdemokratie.“

(Michael Bachner)

„Der Strache kann richtig lustig sein“

Foto: /FPÖ/Screenshot Leser trauen ihren Augen nicht, als sie Heinz-Christian Strache zum ersten Mal mit Brille sehen, fragen in der Redaktion nach, ob es sich um „Fake-Gläser“  und wenn nicht, um welche Fehlsichtigkeit es sich handelt. Spätestens das Ö3-„Frühstück bei mir“ bringt den letzten Ungläubigen im Sommer die Aufklärung (2,5 Dioptrien und drei Dioptrien, Astigmatismus, Hornhautverkrümmung).

Dann wieder Ruhe statt Rumor. Bis Mitte September. Da spielen sich in wie außerhalb der Redaktion   bis dato nicht vorstellbare Konversationen  ab: „Hast Du es schon gesehen?“ – „Was?“ – „Na, das Video vom Strache! Ich mag ihn ja nicht, wähle ihn  auch nicht“, so wird die Empfehlung zumeist entriert. „Aber das ist gut gemacht. Der Strache kann richtig lustig sein!“ Mit Brille, wenn er stellvertretend Schluss macht, mehr Gehalt fordert, Kunst kritisiert. Ohne Brille, wenn er einem mit ÖVP-Konterfeis frisch Tätowierten  auf die Schulter klopft. Man traut seinen Augen nicht: Strache macht lachen.

(Johanna Hager)

„Aber ja, Strasche ist Le Pen“

Ich  sitze  im Café Français:  Zwei Männer am Nebentisch breiten  Wahlbroschüren  aus – und  werden immer lauter. Es sind Journalisten aus Frankreich  auf Reportage in Wien. Sie  interessieren sich  besonders für  ÖVP und FPÖ. „Die haben ja fast gleichlautende Programme“, sagt der eine. „Aber nein“, erwidert sein Kollege vom öffentlich-rechtlichen Radiosender. „Strasche“  – die  Franzosen sprechen ein „ch“ als „sch“ aus –  „Strasche ist doch  nicht konservativ wie  Sébastien Kurz, Strasche ist  extrême droite“.  „Du musst  unterscheiden zwischen droite und  extrême droite.“ „Aber ja, Strasche ist Le Pen.“

Meine Tischnachbarn merken, dass ich sie  beobachte. Der Reporter fragt mich: „FPÖ ist wie Front National, oder?“  „So einfach ist der Vergleich nicht. Zumindest spielt die FPÖ derzeit nicht mit Öxit  und  der Wiedereinführung des Schilling. Im EU-Parlament sind  Front National- und   FPÖ-Abgeordnete aber in einer Fraktion“, antworte ich.  „Also doch  extrême droite, das bringe ich in meinem 50-Sekunden-Beitrag.“

(Margaretha Kopeinig)

Debakel? „Ich verstehe das auch nicht“

Foto: /Inés Bacher Obwohl der Wahlkampf den Spitzenkandidaten diesmal alles abverlangt, wirkte die Grüne  Frontfrau Ulrike Lunacek bis zuletzt fit. Das mag daran liegen, dass sie eine   leidenschaftliche Schwimmerin ist.

Aufgefallen ist  sie mir schon 2009 in Brüssel als neue EU-Abgeordnete, die für den Abgang von Johannes „Silberrücken“  Voggenhuber mitverantwortlich war. Jetzt  droht den Grünen ein Debakel, weil auch Peter „Silberrücken“ Pilz   aus vergleichbaren Gründen sein Handtuch geworfen hat. Im Wahlkampf musste Lunacek das Beste draus machen. Alleinstellungsmerkmal: FPÖ pfui, Klimawandel hui. Gut, das mit der FPÖ glaubt man ihr sofort. Aber  Klimawandel als Top-Wahlkampfthema? Da behielt sie ihr Alleinstellungsmerkmal – quasi als beste Schwimmerin in einem Wettbewerb, wo es eigentlich ums Laufen geht.

Als ich Lunacek am  KURIER-Tag der offenen Tür fragte, warum den Grünen eigentlich ein Debakel drohe, meinte sie nur: „Ich versteh’ das auch nicht.“

(Bernhard Gaul)

Wähler fischen statt Fliegenfischen 

Die Sommerpause war für vieles  reserviert, aber nicht für Politik.  Fliegenfischen, Pilze sammeln, Wandern auf den Hochschwab. Daraus wurde  nichts. Peter Pilz  handelte schon immer gerne auf eigene Faust. Diesem Prinzip blieb der Altstar auch bei der Gründung seiner Liste treu. Pilz checkte die Kandidaten, war sein eigener Pressemann, ein Wahlkampfmanager kam erst Anfang September an Bord. Zwischendurch schrieb er innerhalb von 14 Tagen sein Buch „Heimat“. Täglich 15.000 Zeichen. Dafür stand er täglich um fünf Uhr auf („Ich bin kein Frühaufsteher“) schrieb bis acht Uhr und dann wieder von 18 Uhr bis Mitternacht. Er tourte in Tracht durch Wiesenfeste.

Nur für den Geburtstag seiner Frau legte er einen 24-Stunden-Stopp in Venedig ein. Zwischen Sekt, Geschenk und Torte lancierte Pilz Artikel  über seinen U-Ausschuss-Rauswurf. Oft – auch während Interviews – telefonierte er im Wahlkampf mit „Principessa“.  Nein, nicht mit Christian Kern. „Prinzessin“  ist  der Kosename seiner Frau.

(Ida Metzger)

Er läuft und läuft – auch bei Regen

Foto: KURIER/Franz Gruber Duracell-Hase. Täglich zwölf große Espressi, gesüßt mit Red Bull: Über die unerschöpfliche Energie von  Matthias Strolz wurde im Wahlkampf viel gewitzelt. In den TV-Runden der Spitzenkandidaten war der Neos-Chef stets der lebendigste, doch Strolz ist nicht nur vor den Kameras aufgekratzt. Ich war mit ihm in Oberösterreich unterwegs. Weite Anfahrt, bis an die deutsche Grenze. Beim Zwischenstopp in Linz auf dem Hauptplatz der erste nasskalte Herbsteinbruch.

Strolz focht das nicht an. Er diskutierte unverdrossen mit Passanten und referierte über sein Pensionsmodell, während es ihm in den Hemdkragen tropfte. Spätabends im Innviertel debattierte er über Föderalismus und Verwaltungsreform,  an sich zwei Stimmungskiller. Doch die Leute verließen die Veranstaltung wie nach einem anregenden Theaterabend. Strolz begreift Politik nicht als Inszenierung, sondern als Kommunikation, als Kunst der Rhetorik. Das hebt ihn aus der Masse der Politiker hervor.

(Daniela Kittner)

Was Kennedy im Wahlkampf verloren hatte

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH Es lag eineinhalb Tage lang einfach nur da. Das verwaiste Buch auf dem Redner-Pult im Puls4-Studio  hatte niemanden gestört. John F. Kennedys „Profiles in Courage“. Ich war mit Studenten zu Gast im Sender, und als wir durch das Studio marschierten, fiel mir das Buch auf. Es gehörte dem Kanzler. Sebastian Kurz hatte es Christian Kern am Vorabend geschenkt. Beim ersten TV-Duell der beiden. Und  wie bei jedem Treffen auf Puls4 sollten die  Spitzenkandidaten einander beschenken. Zur Auflockerung,  so wollte es der Sender.

Kerns Exemplar war gebraucht, sagte Kurz unverblümt auf Sendung. Warum gebraucht? Zuschauer und Kern sollten es nie erfahren.

Jedenfalls erzählten die Geschenke bei den TV-Duellen manches über die Kandidaten und deren Haltung. Sie  waren ein Mosaik-Stein   für den Quoten-Erfolg. Kerns Sprecher erzählte später, der Kanzler habe das Buch nicht vorsätzlich im Studio gelassen. Er habe es einfach vergessen. Zuviel Stress, sagte er.

(Christian Böhmer)

„I bin jetzt auf Facebook!“ – „Wo san Sie?“

Weißes Kurzarmhemd, legere Jeans, der Blick etwas skeptisch aufs Smartphone gesenkt und die Brille so weit vorne auf der Nase, wie man es nur von älteren Semestern kennt: So sah SPÖ-Urgestein Josef Cap auf dem Foto aus, das er heuer mit seinem allerersten Facebook-Posting  ins Internet schoss. „Josef Cap goes 2.0“, so der Text darüber.

Als noch niemand über die Silberstein’sche Schmutz-Kampagne auf Facebook  redete, setzte  der lange vor dem  Internet ins Hohe Haus eingezogene Cap da eine Handlung beträchtlicher Tragweite:  Er  bewies unwiderlegbar, dass Facebook nun im hintersten Winkel  heimischer Wahlkämpfe angekommen ist.

Allein, selbst die gefinkeltsten Online-Manöver – auch das zeigte der Wahlkampf letzthin – bringen nicht immer  Erfolg. „Cap 2.0“ spürte das am Neustifter Kirtag kurz  nach seinem Netz-Debüt: „I bin jetzt a auf Facebook“, rief er  einer älteren  Dame beim Kampf um Vorzugsstimmen stolz nach. Die ernüchternde Antwort: „Ha? Wo san Sie?“

(Klaus Knittelfelder)

Alte Heimat Türkei – neue Österreich

Noch nie war ich dermaßen mit Fragen überflutet und noch nie habe ich in meiner Freizeit so viel über Politik gesprochen. An sich war ich immer derjenige, der sein Umfeld mit Gesprächen über die Politik belästigt hat. Diesmal ist es andersherum. Insbesondere stellten Türkeistämmige bei jeder Gelegenheit eine Frage: Wird Schwarz-Blau kommen? Werden sie unsere Rechte einschränken? Welche Partei kann man wählen?

Die Sorgen sind bekannt: Hohe Mieten, immer mehr werdende Abgaben der Kleinunternehmer und Zukunftsängste der Jungen. Dazu kommt noch die politische Spannung zwischen ihrer alten Heimat Türkei und der neuen Österreich.

Eines werde ich nie vergessen: Als sich sechs Migranten die ganze FPÖ-Wahlwerbeserie  „Die Hubers“ reingezogen und sich totgelacht haben. Auch TV-Konfrontationen sind im Vergleich zu früher mit viel mehr Interesse verfolgt worden. Ob die Wahlen die Sorgen beseitigen, wissen wir nicht. Aber: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

(Bilal Baltaci)

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