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Kurz gegen Kern: Finale ohne Freundlichkei­ten

11-10-2017, 23:05

Es war ihr zweiter direkter Schlagabtausch, das letzte Duell im TV-Wahlkampf überhaupt. Und , bei ihrer harten Diskussion auf Puls4, blieben Christian Kern und Sebastian Kurz einander auch Mittwochabend nichts schuldig.

Der Beginn blieb noch vergleichsweise sanft. Was muss ein Kanzler können?, lautete die Einstiegsfrage.

"Er braucht den Willen, die Kraft und die Entschlossenheit, Dinge umzusetzen", antwortete der ÖVP-Chef. "Kraft" und "Wille", diese Worte sollten von Kurz noch öfter kommen an diesem Abend. "Er spielte mit starken Begriffen – und das ist in einer Fernseh-Diskussion ein gutes Stilmittel", sagt Medientrainer Gerald Groß.

Kern gegen Kurz: Beide stellen Kanzleranspruch

Gemeinsam mit OGM-Chef Wolfgang Bachmayer analysiert der frühere ZIB-Moderator auch dieses Duell für den KURIER. Und in einem sind sich die Experten einig: Zu Beginn, eben bei der Eingangsfrage, hatte Christian Kern einen seiner stärksten Momente. Denn auf die Frage nach den Fähigkeiten eines Kanzlers antwortet der SPÖ-Chef mit einem Sager, der hängen bleibt. "Ich bin durch Kreisky und Vranitzky geprägt, die auf wirtschaftlichen Erfolg geachtet haben – aber auch auf die soziale Balance." Demgegenüber sei Kurz "durch Schüssel geprägt", und der sei dafür bekannt, dass er "die Wirtschaft entfesselte, aber Sozialabbau und Pensionsabbau betrieb".

Die Angst vor Schwarz-Blau, eine das Sozialsystem zerstörende ÖVP-FPÖ-Regierung als Schreckgespenst: Das ist es, womit Kern an diesem Abend an vielen Stellen arbeitet.

Persönliche Attacken

Kurz kontert: "Die SPÖ versucht ständig, mich in ein Eck zu rücken, in dem ich nicht bin. Ich komme aus einem Arbeiterbezirk, meine ist Mutter Lehrerin, mein Vater HTL-Ingenieur, meine Großeltern waren kleine Bauern." Und außerdem hätten die Schweiz und andere Staaten eine niedrigere Steuerquote und "trotzdem Spitäler".

Das Schema aber bleibt: Hier der Angreifer Kern; da der Verteidiger Kurz.

"Der Kanzler hat einen Rollenwechsel vorgenommen", sagt OGM-Chef Bachmayer. "Er agierte bei den Duellen mit Kurz offensiv und attackierte ihn auf der persönlichen Ebene – etwa, indem er ihm vorgeworfen hat, nie ein Unternehmen geführt zu haben." Das sieht auch Trainer Groß sehr ähnlich: "Im Ton war Kern nicht so aufgekratzt wie beim ersten Duell. Was die Inhalte angeht, blieb er aber angriffig."

Steht das einem Bundeskanzler? Eher nicht, meinen Groß und Bachmayer unisono. "Es war bemerkenswert, dass es eher an Kurz lag, Gemeinsamkeiten offen anzusprechen." Im Unterschied dazu habe Kern stellenweise sogar ein wenig herablassend argumentiert, sagt Groß.

Was die Themen angeht, blieben der inhaltliche Horizont aber ohnehin überschaubar.

Großen Raum nahm die Frage des Sozialen bzw. des Sozialabbaus ein. Hier sagte Kern, er wolle die 700 Millionen, die man in der Gesundheitsverwaltung einsparen könne, "nicht aus dem System rausziehen, um damit Geschenke an Konzerne zu finanzieren". Das Geld müsse bei den Patienten bleiben. Kurz kontert: "Wir geben Rekordsummen für das Gesundheitssystem aus, aber das Geld kommt bei den Patienten nicht an."

Unterhaltsrecht und Hilfe für Alleinerzieher

Silberstein fehlte

Bemerkenswertes Detail: Die Affäre Silberstein spielte beim Duell de facto keine Rolle. Nur einmal, als Kern ihn scharf attackierte, antwortete Kurz mit dem Satz: "Der Silberstein sitzt im Gefängnis, aber das Dirty Campaigning geht weiter."

Experte Bachmayer irritiert das: "Die Frage, ob er beim zweiten Platz zurücktreten würde, wurde Kurz gestellt, Kern aber nicht. Zudem wurde die Affäre Silberstein von der Moderation nicht mit einem Wort aktiv angesprochen. Das ist befremdlich."

Fazit der Experten: "Kern hat sich thematisch auf seine Kern-Klientel konzentriert – also auf das Thema Soziales", sagt Groß. Demgegenüber habe Kurz sich bemüht, "ruhig und gelassen" zu agieren, sagt Bachmayer: "Er wollte offensichtlich sein kanzler-mäßiges Verhalten beibehalten."

"Der Unterschied zwischen uns ist: Ich will eingespartes Geld nicht aus dem Gesundheitssystem herausziehen, um es an Großunternehmer zu verschenken."

"Sie sind gegen ein Glyphosat-Verbot, weil Sie einen Großkonzern schützen."

Christian Kern ätzt über Kurz

"Also, die ÖVP ist gegen Spitäler und für Krebs auf dem Teller. Tal Silberstein sitzt zwar im Gefängnis, aber das Dirty Campaigning der SPÖ hört nicht auf."

Sebastian Kurz ätzt zurück

"Ich habe von Schwarz-Blau ein kaputtes Unternehmen übernommen und daraus eines mit 200 Millionen Euro Gewinn gemacht."

Kern über seine ÖBB-Karriere

"Sie haben in einem Milliarden-Zuschuss-Betrieb lediglich ein paar Millionen weniger ausgegeben."

Kurz über Kerns ÖBB-Leistung

"In der Politik geht es nie um Liebesheirat, sondern um Vernunftehen."

Kern zur Koalitionsfrage

Da war die Anspannung schon vorbei. Wie immer bei den ORF-Konfrontationen dabei: Erstwähler: Diesmal Schulklassen aus dem Kollegium Kalksburg und eine Klasse aus Tullnerbach.            

Wer dachte, man hätte nach dem elf Monate andauernden Hofburg-Wahlkampf im Vorjahr schon alles gesehen, wird seit Wochen eines Besseren belehrt: Der Wahlkampf zur Nationalratswahl ist für viele der schmutzigste, den es je gab. Und einer, der mit so viel Interesse wie nie von den Österreichern in den Medien verfolgt wurde. "Für das Ansehen der Politik war es natürlich nicht gut, aber gerade weil es so dreckig zugegangen ist, hat es eine intensivere Wahrnehmung erzeugt. Und das ist für die Demokratie ja durchaus positiv", sagt OGM-Chef Wolfgang Bachmayer.

19 Zweier-Konfrontationen und drei Elefantenrunden im Fernsehen, unzählige Interviews im Print und Radio, ganz zu schweigen von den Social-Media-Aktivitäten der Kandidaten. Und das Publikum scheint sich nicht sattzusehen: Am Dienstag schalteten mehr als 904.000 Zuseher beim Duell zwischen ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache ein, 887.000 wollten am Montag Strache gegen SPÖ-Kanzler Christian Kern sehen (siehe Grafik unten).

Vielfalt interessiert

Ob aus einem Informations- oder Entertainmentbedürfnis – die Fernseh-Duelle haben unglaublichen Stellenwert in diesem Wahlkampf, sagt Eva Zeglovits vom Marktforschungsinstitut IFES. "Das ist auch der Nach-Berichterstattung und den Analysen anderer Medien geschuldet. Dass die Interpretationshoheit nicht bei einem Medium liegt, sorgt für Vielfalt, die viele interessiert." Zeglovits und Bachmayer gehen davon aus, dass sich dieses Interesse auf die Wahlbeteiligung überträgt – und im Vergleich zur Nationalratswahl 2013 (74,9 Prozent) steigen wird. "Dafür sprechen auch das größere Angebot an Parteien (zehn), an guten Kandidaten und deren Inhalten," sagt Zeglovits.

Noch sei die Causa Silberstein und deren mögliche Auswirkungen auf das Wählerverhalten nicht abschätzbar, glauben die Meinungsforscher. Wem die Schmutzkübel-Affären nützen? Da sind sich die Experten uneinig – im Zweifelsfall der Opposition.

Letzte Chance im TV

Marktforscherin Zeglovits zieht Bilanz: "Ich hatte bisher nie den Eindruck, dass jemand die TV-Konfrontation verpatzt hat. Alle waren gut vorbereitet, alle haben ihre Botschaften untergebracht." Aha-Erlebnisse habe es trotz des ein oder anderen Kalauers nicht gegeben.

Zeglovits fällt noch der Moment ein, als die Grüne Ulrike Lunacek den ÖVP-Chef Kurz mit der falschen Grafik zur Entwicklungshilfe konfrontiert hat. Dennoch: "Es war aber kein nachhaltiger Effekt, der Kurz aus der Fassung gebracht hätte."

Der Pool an Unentschlossenen ist überschaubar: Laut OGM-Umfrage vom Sonntag wissen nur sechs bis acht Prozent jener, die fix zur Wahl gehen, noch nicht, wem sie ihre Stimme geben sollen. Inklusive jener, die ihre Stimmabgabe verweigern wollen, sind es rund 15 Prozent. Erfahrungsgemäß teilen sich die Unentschlossenen proportional zu den anderen Wählern auf die Parteien auf. "Es ist eine relativ unberechenbare Gruppe, sie rennt nicht in dieselbe Richtung", sagt Meinungsforscher Peter Hajek.Eine Chance bietet dieser Pool allemal, so knapp vor dem Wahltag, und die versuchten gestern Kern und Kurz ein letztes Mal im TV-Zweikampf zu nutzen, bevor es heute in die finale Elefantenrunde mit den Spitzenkandidaten der fünf Parlamentsparteien geht. "Die wichtigste Prämisse ist jetzt: Keine Fehler mehr machen. Der individuelle Spielplan ist erst die zweite Überlegung, obwohl ich nicht ausschließe, dass die eine oder andere Botschaft noch platziert wird", sagt Hajek.

Foto: /Grafik

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