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Braucht es einen Straftatbestand Dirty Campaigning?

9-10-2017, 11:59

Ein beispiellos schmutziger Wahlkampf neigt sich dem Ende zu. In sechs Tagen wird der Nationalrat gewählt, danach dürfte sich die Justiz noch länger mit den gegenseitigen Klagen von SPÖ und ÖVP in Sachen Dirty Campaigning befassen - ein Sprecher von ÖVP-Chef Sebastian Kurz wurde wegen Betriebsspionage angezeigt, die SPÖ wegen Verhetzung und Verstoßes gegen das Verbotsgesetz.

Gegen Dirty Campaigning an sich will Sebastian Kurz einen neuen Straftatbestand schaffen bzw. die bestehenden Gesetze verschärfen - quasi eine "Lex Silberstein" . Was Kurz und seiner Partei da vorschwebt und was Experten dazu sagen, hat sich der KURIER näher angeschaut:

Alte Gesetze verschärfen:

Die "Verbreitung falscher Nachrichten bei einer Wahl oder Volksabstimmung" (§264 Strafgesetzbuch) ist bereits verboten und wird mit bis zu sechs Monaten Freiheitsstrafe bestraft.

De facto ist diese Bestimmung in der Praxis aber kaum relevant - sie greift nur, wenn "eine Gegenäußerung nicht mehr wirksam verbreitet werden kann" - wenn sie also zu knapp vor dem Wahltag stattfindet, um sich dagegen wehren zu können.

Foto: AP/Ronald Zak Christian Pilnacek, Sektionschef für Strafrecht im Justizministerium, hält das für machbar: "Das Gesetz hat aktuell einen sehr engen Anwendungsbereich." Mobbing bzw. Falschmeldungen hätten im Internet ja eine wesentlich längere Haltbarkeit.

Neues Gesetz: Verbot von unlauteren Wahlkampfpraktiken

In der Privatwirtschaft sind unlautere Geschäftspraktiken bereits verboten, da unwahre Äußerungen im Wahlkampf für eine politische Partei ebenso geschäftsschädigend wären, will die ÖVP auch hier Regelungen schaffen. Über die Einhaltung solle der Parteientransparenz-Senat entscheiden, der im Bundeskanzleramt angesiedelt ist.

"Sisyphos wäre dagegen ein Waisenknabe", sagt Ludwig Adamovich, Ex-Präsident des Verfassungsgerichtshofes und Vorsitzender des Parteientransparenz-Senats auf KURIER-Anfrage. Das sehe man ja im aktuellen Wahlkampf, fast jeden Tag gibt es neue Vorwürfe gegen den politischen Gegner. "Es besteht die Gefahr, dass man dann von gegenseitigen Vorwürfen überschwemmt wird, auf jede Beschuldigung folgt die der Gegenseite, es stünde Aussage gegen Aussage", erklärt er. "Wenn ein Richter dann abgrenzen muss, welche Aussagen seriös sind und welche nicht, wird es problematisch."

Foto: KURIER/Martin Gnedt Natürlich, betont Adamovich, müsse das aber sachlich diskutiert werden. "Allerdings erst nach dieser Wahl, und nicht mit dem unmittelbaren Druck einer Wahlentscheidung im Hintergrund."

Soziale Medien in die Pflicht nehmen:

Eine weitere Forderung betrifft die Sozialen Netzwerke, die laut ÖVP stärker in die Verantwortung gezogen werden sollen - ähnlich wie beim Cybermobbing sollen Facebook und Co. Postings, die Falschmeldungen enthalten, gelöscht werden können.

Die ÖVP wünscht sich außerdem ein effektiveres "Beschwerdemanagement". Opfer von Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Netz sollen rascher die Identität des Verletzers erfahren.

Kürzung der Parteienförderung oder Mandatsverlust als Sanktion:

Die ÖVP schlägt vor, dass als Sanktion für Dirty Campaigning die Partei bzw. "eine ihr zurechenbare Person" (aktuell Silberstein und Konsorten) betreibt, die Parteienförderung gekürzt werden soll. Oder, wenn eine Partei bzw. Person strafrechtlich wegen eines "Wahldelikts" verurteilt wurde.

Neben einer finanziellen Sanktion will die ÖVP, dass Parteien mit einem Verlust von Mandaten büßen müssen, bzw. das Regierungsamt verlieren. Derzeit tritt das ein, wenn die Person rechtskräftig zu mehr als sechs Monaten verurteilt wurde.

Rechtsexperte Funk beurteilt diese Vorschläge so: Naheliegender, als die Parteienförderung zu kürzen, seien höhere Strafbeträge bzw. Geldbußen. Mandatsverlust als Sanktion sei "heikel" - schließlich seien die Vertreter im Parlament vom Volk gewählt. Ihnen Vorgänge, die vor der Wahl stattgefunden haben, vorzuhalten - da müsse das Gesetz schon sehr präzise formuliert werden. 

Funk warnt auch davor, aus Wahlkämpfen bzw. der Art, wie sie geführt werden, Gründe für eine Wahlanfechtung abzuleiten. Die FPÖ hatte in ihrer Anfechtung der Bundespräsidenten-Stichwahl ja angeprangert, von Journalisten schlechter behandelt worden zu sein. "Grundsätzlich ist das Wahlrecht sehr klar: Anfechtbar sind nur Fehler, die im Wahlverfahren selbst schiefgelaufen bzw. nicht regulär abgewickelt worden sind. Alles, was davor passiert ist, ist nicht präzise genug feststellbar. Es ist möglich, dass man damit die falschen bestraft", erklärt Funk.

Und das halten die anderen Parteien davon:

SPÖ-Chef Christian Kern meinte bereits in der , dass er diesen Vorschlag unterstützt. Er verwies aber darauf, dass die ÖVP jetzt, in Bezug auf die aktuelle Situation, eine Verantwortung habe. Kern wirft der betrieben zu haben.

Die beiden Großparteien SPÖ und ÖVP haben sich außerdem bereit erklärt, einen Fairness- und Transparenzpakt von Greenpeace zu unterzeichnen. Die Initiative "Netpeace" wurde bereits vergangene Woche von den kleineren Parteien Grüne, Neos und Liste Pilz unterzeichnet. Einzig die FPÖ gab bisher keine Erklärung ab.

Die Initiative hat sich vorgenommen, die "politische Kultur auf Social-Media-Kanälen" zu verbessern, auf Verunglimpfungen und persönliche Angriffe im Netz zu verzichten und künftig die Wahlkampfkosten im Bereich Social Media detailliert offenzulegen.

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