KURIER: Herr Bundeskanzler, warum haben Sie mit Tal Silberstein einen Experten für schmutzige Wahlkämpfe engagiert?
Christian Kern: Tal Silberstein zu engagieren war ein Fehler, den ich zu verantworten habe. Aber wir haben ihn nicht beauftragt, zu betreiben. Wir sind die Hauptgeschädigten der Geschichte. 80 Prozent der Motive, die produziert wurden, zeigen Fotomontagen von mir in unmöglichen Posen. Von am Klo sitzend bis onanierend. Wir haben Strafanzeige eingebracht, um festzustellen, wer die Betreiber sind. Aber die viel diskutierten Facebook-Seiten haben 0,02 Prozent der Wähler erreicht. Es gibt viele andere Seiten im Internet, heute prahlt ein Funktionär der ÖVP, dass er meine Frau und ihre Geschäftspartner hat observieren lassen, nachdem er sie tagelang durch den Kakao gezogen hat. Die Zeitung Österreich erfindet Skandale, in die ich involviert sein soll. Das ist eine Eskalation, die mich in echte Sorge versetzt. Was da passiert ist, ist demokratiezersetzend.
Aber Silberstein war in alles involviert.
In ÖVP-Intrigen? Das hat uns wahnsinnig geschadet, mir am meisten. Aber schon zuvor ist systematisch die Regierung zerstört worden, inklusive Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, jetzt wird der Wahlkampf zerstört. Ich halte es für bedauerlich, dass wir nicht über die inhaltlichen Fragen diskutieren können, wie wir unsere Zukunft gestalten werden. Das hat ja einer genauen Strategie, einem genauen Plan, den Sebastian Kurz und seine Mitarbeiter entwickelt haben, entsprochen. Nur ja nicht über das reden, was nach der Wahl an Maßnahmen kommt. Zeitungen haben die entsprechenden Dokumente im Internet veröffentlicht.
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Sie sagen damit, die ÖVP soll daran schuld sein?
Sie trägt genauso Verantwortung wie die SPÖ. Das ist höchst aufklärungsbedürftig. Das, was da jetzt passiert, bei Sebastian Kurz: Da würde ich dringend um Aufklärung bitten. Wir haben unseren Teil getan, der Bundesgeschäftsführer ist zurückgetreten, wir haben den involvierten Mitarbeiter suspendiert und wir haben die Zusammenarbeit mit Silberstein aufgelöst. Das alles kann keine Wiedergutmachung sein für das, was passiert ist, aber jetzt gehört alles auf den Tisch und ich erwarte mir, dass das so rasch wie möglich passiert. Seit Wochen und Monaten, sobald wir uns erholt und Tritt gefasst haben, werden irgendwelche Indiskretionen an die Öffentlichkeit gespült. Das war der bewusste Versuch, unseren Wahlkampf zu beschädigen. Wer da jetzt präzise dahintersteckt, werden die Gerichte hoffentlich klären können.
Sie insinuieren, ÖVP und Medien sind schuld?
Der Vorwurf, dass der engste Vertraute von Sebastian Kurz einem Mitarbeiter von Silberstein 100.000 Euro fürs Seitenwechseln angeboten hat, ist jedenfalls gravierend. Ja, ich glaube schon, dass es da eine politische Verantwortung gibt. Ich fürchte, dass dieser Wahlkampf noch ein langes gerichtliches Nachspiel haben wird. Diese eine wird wohl nicht die einzige bleiben, die vor Gericht endet.
Warum haben Sie Silberstein überhaupt engagiert?
Er hat zuletzt für die Neos einen sehr erfolgreichen Wien-Wahlkampf gemacht. Er hat die SPÖ strategisch beraten, weil die Partei über die Jahre eine personelle Ausdünnung erfahren hat. Da wurden Mitarbeiter abgebaut, da gab es zu wenige Ressourcen im Bereich Meinungsforschung. Das war der Grund, warum man das an Tal Silberstein und sein Team ausgelagert hat.
Wer leitet nach Silberstein den Wahlkampf?
Der Kampagnenleiter war Georg Niedermühlbichler, jetzt Andrea Brunner und darunter ist Johannes Vetter für Kommunikation und Fabian Lohmann für Organisation verantwortlich. Das Team umfasst insgesamt 130 Personen. Tal Silberstein hat nicht den Wahlkampf geleitet, das ist grundfalsch.
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Werden Sie sich beientschuldigen?
Ich verstehe die Frage nicht: sie wurden observiert, der Kaufvertrag unserer Wohnung wurde im Internet veröffentlicht. Ich auf Facebook-Seiten in Fotomontagen gezeigt, die einem die Schamesröte ins Gesicht treiben. Die Caritas ist da wohl nicht der Urheber. Sobotka, Lopatka und Konsorten wurden vorgeschickt, um mich über Monate hinweg herabzuwürdigen und zu beschimpfen. Die ÖVP macht sich in der Rolle des Opferlammes denkbar schlecht.
Ob Opferlamm oder nicht, in einer Woche wird der Wähler entscheiden ...
Die Richtung, in die sich dieser Wahlkampf entwickelt hat, war vor Kurzem noch unvorstellbar. Es bedrückt mich immens, dass die SPÖ da auch eine Mitverantwortung hat. Alle Parteien sollten jetzt innehalten und sagen: "Okay, das ist dermaßen inakzeptabel, was da passiert, dass sich wirklich alle an der Nase nehmen müssen." Das heißt: "So rasch wie möglich aufklären, so rasch wie möglich die Dinge auf den Tisch."
In einem Untersuchungsausschuss?
Die Gerichte sind dafür zuständig. Da geht es um strafrechtlich relevante Fragen. Und da haben die Medien auch eine Verantwortung. Ich glaube, jeder, der an der Demokratie interessiert ist, sollte jetzt deutlich vom Gas runtergehen und sagen: "Das geht zu weit". Wir können uns bei den Österreicherinnen und Österreichern nur alle miteinander entschuldigen und schauen, dass wir nicht in dem Fehler verharren und so weitermachen.
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Wie wollen Sie in dieser Lage die Wähler noch für die Themen der SPÖ begeistern?
Wir wollen erstens für wirtschaftlichen Erfolg sorgen und dann die Frage stellen, wer davon profitieren soll. Beim Pensionsthema sind wir auf dem richtigen Weg, wir werden heuer eine Milliarde weniger ausgeben als geplant. Das ist eine wirklich gute Nachricht. Damit können wir die Pensionen nachhaltig garantieren. Weitere wichtige Themen sind die Absicherung der Pflege und des Gesundheitssystems, die Verbesserung unserer Bildungseinrichtungen.
Alle wollen Steuern senken, aber wie?
Von unserem Plan profitieren vier Millionen Arbeitnehmer und Pensionisten. Gegenfinanziert wird das mit höheren Steuern für Großkonzerne und Millionäre. Das ist gerecht, weil die Superreichen immer reicher werden. Ein Prozent der Österreicher besitzen 40 Prozent des Vermögens, die können im Interesse der sozialen Sicherheit mehr beitragen. Ein paar davon waren bereit, große Beträge der ÖVP zu spenden und die werden jetzt belohnt mit schwarz-blauen Steuerkonzepten, die ihnen Milliarden Euro Ersparnisse bringen, wenn sie umgesetzt werden. Fragt sich nur, wer das bezahlen wird.
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Können wir nach diesen Vorfällen aus Ihrer Sicht eine rot-schwarze Zusammenarbeit, wie auch immer, für die nächsten Jahre ausschließen?
Ich habe die ÖVP mehrfach gewarnt – Reinhold Mitterlehner, später Sebastian Kurz –, dass sie das Tischtuch nicht zerschneiden sollen, weil damit der rote Teppich für die FPÖ ausgerollt wird. Wir stehen vor der Frage, ob es wirklich wieder zu einer schwarz-blauen Regierungsbildung kommt und sich die Geschichte der Kürzungen bei Pensionen, Gesundheit und Sicherheit wiederholt oder ob es gelingt, andere Mehrheitsverhältnisse zu erreichen.
Wenn die SPÖ nicht mehr in die Regierung kommt, was machen Sie dann?
Ich kann allen Wählern versichern, dass ich SPÖ-Chef bleiben werde, ich habe mir das für zehn Jahre vorgenommen. Mein Ziel ist es, so stark zu werden, dass wir diese schwarz-blaue Regierung verhindern können. Das bedeutet, dass wir Erster werden müssen.
Und Sie bleiben sicher Parteichef, obwohl es in der SPÖ angeblich schon Nachfolgespiele gibt?
Mich bei Schwierigkeiten davonzumachen ist nicht mein Lebensprinzip. Ich weiß aus Lebenserfahrung: Manchmal gibt es eben Gegenwind. Dann kommt es darauf an, zu stehen. Ich bekomme massenhaft Mails, SMS und Unterstützung, die einem das leichter macht.