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Katalonien: Zwischen Kampfansagen und Ratlosigkeit

2-10-2017, 18:14

Nach dem blutigen Wahlsonntag in Katalonien mit mehr als 800 Verletzten stehen die Zeichen zwischen Madrid und Barcelona auf Sturm. Die separatistische katalanische Regierung von Carles Puigdemont sieht in dem Ergebnis des Referendums, trotz der chaotischen Umstände und der geringen Wahlbeteiligung (42 Prozent) ein klares Votum für die Unabhängigkeit. Immerhin haben mehr als 90 Prozent mit "Ja" gestimmt.

Puigdemont fordert den sofortigen Abzug der spanischen Polizeikräfte aus Katalonien und will in den nächsten Tagen die Unabhängigkeit erklären. Madrid erklärt die Abstimmung zur illegalen Farce. Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy versucht alle politischen Parteien auf Ablehnung der katalanischen Unabhängigkeit einzuschwören. Der KURIER analysiert die Hintergründe der Krise und mögliche Lösungen.

Wie geht es nach der blutigen Eskalation weiter?

Immer mehr Politiker in Madrid und Barcelona sehen als einzige Möglichkeit die Aktivierung des Artikels 155 der spanischen Verfassung. Dieser erlaubt der Regierung, "notwendige Maßnahmen" zum Erhalt der Einheit Spaniens zu ergreifen. So könnte man die separatistische Regierungskoalition in Barcelona ihres Amtes entheben und Neuwahlen in der Region durchführen, vielleicht noch vor Jahreswechsel.

Wie ist die Haltung der Sicherheitskräfte?Katalonien verfügt über eine eigene Polizei, die sogenannten "Mossos d’Esquadra". Diese müsste Befehlen aus Madrid eigentlich Folge leisten, was sie aber in den vergangenen Wochen und am Wahltag nicht getan hat. Die spanische Regierung hat daher Einheiten der Nationalpolizei und der militärisch organisierten Guardia Civil nach Katalonien entsandt. Diese sind für das gewaltsame Einschreiten verantwortlich.

Gibt es noch Chancen auf einen Kompromiss?

Seit der Gründung der spanischen Demokratie 1978 besitzt Katalonien weitreichende Autonomierechte, die über die Jahre durch Verhandlungen zwischen Madrid und Barcelona erweitert und ausgebaut wurden. Da die Mehrheit der Bevölkerung Kataloniens gegen die Unabhängigkeit ist, plädieren viele Politiker für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein neues Autonomiestatut. In diesem könnte Katalonien Steuerhoheit wie das Baskenland bekommen.

Wie sieht man den Konflikt im übrigen Spanien?

Die politischen Parteien Spaniens sind gegen die Unabhängigkeit Kataloniens. Nur die linke "Podemos" beschränkt sich auf die Forderung, ein Referendum abzuhalten. Die spanischen Medien sowie eine klare Mehrheit der Bevölkerung sind ebenfalls gegen die Autonomie.

Wie verhält sich Europa in der Katalonien-Krise?

Die EU-Kommission hat klargemacht, dass ein unabhängiges Katalonien nicht mehr Teil der EU wäre. Verhandlungen über eine Neuaufnahme würden am Widerstand mehrerer Staaten scheitern, die ebenfalls Sorgen mit nach Unabhängigkeit strebenden Regionen haben, wie etwa Belgien (Flandern), Italien (Südtirol) oder die Slowakei (ungarische Gebiete).

Seit wann wollen Kataloniens Separatisten endgültig los von Spanien?

Seit das spanische Verfassungsgericht 2010 große Teile eines neuen Autonomiestatutes aus dem Jahr 2006 für ungültig erklärt hat. Die Wirtschaftskrise in Katalonien hat die politische Stimmung obendrein weiter verhärtet.

Was ist der historische Hintergrund des Konfliktes?

Katalonien hat in seiner Geschichte immer wieder nach Unabhängigkeit von Spanien gestrebt. Mit dem zwischenzeitlichen Ende der Monarchie 1931 bekam die Region Autonomie. Im folgenden Bürgerkrieg kämpfte das von Sozialisten und Anarchisten regierte Barcelona gegen die faschistischen Militärs unter General Franco. Unter der Franco-Diktatur bis 1975 wurden Kataloniens Kultur und Sprache unterdrückt. Viele Katalanen sehen Madrid bis heute als Gegner ihrer Eigenständigkeit.

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