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Kern: "Wer mit Schmutz agiert, kann mich gernhaben"

22-09-2017, 18:09

War er bisher sehr schmutzig, der Wahlkampf?

Die Frage geht an Christian Kern. Der Bundeskanzler ist bei einer Podiumsdiskussion mit KURIER-Lesern im Wiener Raiffeisen-Forum.

Er will nicht jammern, Gott behüte. Nichts ärgert Wähler mehr als ein allzu wehleidiger Spitzenkandidat. Aber ja, er fand ihn nicht in Ordnung, den Wahlkampf. Oder genauer: nicht immer. "Vieles geht jetzt sehr auf die persönliche Ebene", sagt Kern. "Und insbesondere die Tatsache, dass die Familie in den Wahlkampf hineingezogen wird, ist unerfreulich."

"Unerfreulich" ist vermutlich ein zu harmloses Wort. Denn schon in den ersten Minuten des Leser-Treffens macht Kern eine Ankündigung, die den verbleibenden SPÖ-Wahlkampf und die Berichterstattung darüber zumindest im Boulevard nicht unbedingt positiv beeinflussen wird. Denn auf dem Podium erklärt Kern, dass er mit dem Boulevard-Blatt Österreich bis auf Weiteres keine Interviews und Termine absolvieren will.

Die Veranstaltung aus dem Raiffeisen Forum können Sie hier noch einmal als Video sehen oder . 

Anstand ist gefordert

"Politik bedeutet für mich, in Anstand miteinander umzugehen", sagt Kern.

Wer meine, man müsse mit "Schmutz und Dreck" agieren, der könne ihn "gern haben". Das ist harter Tobak.

An anderer Stelle wird Kern noch appellieren, man müsse die "verrückte Populismus-Spirale, die zwischen Politik und Medien betrieben wird" durchbrechen. Es ist ein Appell an mehr Seriosität, eine Erinnerung an das Frühjahr 2016, als Kern in die Regierung wechselte.

Es wäre freilich vermessen, das Gespräch mit den KURIER-Lesern auf die Kritik am Boulevard oder die Fouls im Wahlkampf zu reduzieren. Ein Gros der fast eineinhalb stündigen Fragestunde war anderen Themen gewidmet. Eines der dominierenden: die Pensionen.

"Wie erklären Sie jüngeren Menschen, dass mit dem heutigen System auch in 30, 40 Jahren noch Pensionen ausbezahlt werden?", will ein Zuhörer wissen.

Foto: KURIER/Franz Gruber Im Gespräch mit den Lesern brachte der SPÖ-Chef viele Zahlen und wetterte gegen den Populismus Der Kanzler antwortet mit einem "Vorwurf": "Ich hör’ ja oft, die SPÖ wolle nur die Pensionisten schützen. Dazu sage ich: ,Ja, das ist so‘. Das ist aber kein Populismus." Für den roten Parteichef ist das die Stelle, an der er sein Argument der Würde zum ersten Mal anbringt – und gleichzeitig seinen stärksten Konkurrenten kritisiert: "Sebastian Kurz hat schon 2015 gesagt: Wir müssen alle länger arbeiten und die Pensionen reduzieren."

Wer wisse, das die Mehrheit der Österreicher rund 900 Euro Pension beziehe, der könne nicht einfach Pensionskürzungen fordern. "Die Menschen kommen schon jetzt schwer über die Runden. Sie haben ein Recht darauf, in Würde zu altern."

Zahlenmensch Kern

Bleibt die Frage, ob das öffentliche Pensionssystem finanzierbar ist. Kern antwortet so: "Ich bin ein Zahlenmensch." Und als solcher sehe er, dass die öffentlichen Pensionsausgaben in der Fünfjahresplanung des Finanzministers um vier Milliarden Euro unter den Prognosen liegen. "Weil so viele Menschen wie noch nie arbeiten. Weil wir Rekordbeschäftigung haben."

Die Sicherheit der Pensionen ist auch einem anderen KURIER-Leser ein Anliegen. "Von dem, was uns vor 15 Jahren bei den privaten Pensionsversicherungen versprochen wurde, gingen 20 bis 40 Prozent verloren. Wer sagt uns, dass die Pensionskontostände im öffentlichen Bereich sicher sind?"

Sie sind es, antwortet der Kanzler – und bringt eine Gegenüberstellung: "Im Vergleich zu den Verwaltungskosten der privaten Pensionsversicherungen sind die der Krankenversicherungen schlank wie Rehlein."

Der SPÖ-Chef will die private Pensionsvorsorge nicht verteufeln: "Jeder kann und soll das machen." Das Problem sei ein anderes: "Viele können sich eine private Pensionsvorsorge nicht leisten."

Geld und Finanzen, das sind klar die Themen des Christian Kern. Mehrfach zitiert er Studien und Statistiken, insbesondere bei einem Fragen-Bereich kommt die Affinität zum Tragen: bei der Steuerreform. Das Feld ist für ihn kein leichtes – auch ÖVP, FPÖ und Neos wollen die Abgabenquote senken, soweit besteht bei den Programmen also kein Unterschied.

Eine Differenz will Kern jetzt aber herausarbeiten, und sie lautet: Im Unterschied zu den anderen, haben wir unsere Entlastung nicht nur bescheidener angelegt. Wir haben sie auch seriös durchgerechnet.

Für den roten Parteichef sind die 12, 15 oder noch mehr Milliarden, die Blau, Türkis und Pink einsparen wollen, "hochgradig unseriös": "Würden wir 13 Milliarden Euro im öffentlichen Bereich sparen,müssten wir nicht nur alle Beamten in den Ministerien, sondern auch alle Lehrer, Ärzte und Soldaten entlassen."

Krieg und Folter

Das den Wahlkampf vielfach dominierende Thema Migration und Integration wird zwar diskutiert, aber auffallend sachlich. Die inhaltlichen Positionen des SPÖ-Chefs sind schnell umrissen: Wer vor Krieg und Folter flüchtet, muss in Österreich Platz haben, die illegale Migration aber muss auf Null gesenkt werden. Und für alle, die hier leben, gilt: Die Sprache muss gelernt, die Werte akzeptiert werden. Salafisten sind für Kern Faschisten – und solcherart nicht willkommen: "Die SPÖ hat nicht umsonst 128 Jahre für Freiheit, Gleichheit und Solidarität gekämpft."

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