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Brexit-Angebot mit beschränkter Haftung

22-09-2017, 06:00

Warum Florenz? Die Wahl Theresa Mays als Ort für ihre heute mit Spannung erwartete Grundsatzrede zum künftigen Brexit-Kurs war auf die italienische Renaissancestadt gefallen. Vielleicht, wie Kommentatoren in der europäischen Hauptstadt gifteten, um von hier aus eine Renaissance der Beziehungen zwischen der Regierung in London und der EU anzustoßen.

Nach drei weitgehend ergebnislosen Gesprächsrunden zwischen Großbritannien und dem Brexit-Verhandlungsteam der EU-Kommission ist der Frustpegel in Brüssel enorm gestiegen. Am Montag geht es in die vierte Runde, und noch immer sei nicht klar, was man in London wirklich wolle, beklagen in die Gespräche involvierten Verhandler. "Wo ist bloß der klare und knallharte Verhandlungsstil geblieben, für den die Briten immer berühmt waren", wundert sich eine Diplomatin. "Anfangs haben wir das britische Chaos sogar kurz für ihre Taktik gehalten – bis wir gesehen haben, dass es wirklich nur Chaos ist."

Zwei Jahre länger im EU-Binnenmarkt

Umso größer die Erwartungen, heute Nachmittag von der britischen Regierungschefin endlich zu hören, welchen Brexit-Kurs London fahren will. Die Financial Times will bereits vorab in Erfahrung gebracht haben, dass May eine zweijährige Übergangszeit nach der Brexit-Deadline am 29. März 2019 ankündigen werde. Das würde bedeuten: Bis Anfang 2021 würde das Vereinigte Königreich weiterhin im europäischen Binnenmarkt und in der Zollunion bleiben. Und es würde auch weiterhin, im Zuge des bis 2020 laufenden EU-Budgetrahmens, seinen Jahresbeitrag an Brüssel zahlen – insgesamt 20 Milliarden Euro.

Zumindest läge dann einmal ein konkretes Angebot Londons auf dem Tisch, ist in Brüssel zu hören. Von dem, was sich die EU als Austrittsrechnung vorstellt, ist diese Summe allerdings weit entfernt. Es geht um den Ausstieg aus langfristige Verpflichtungen Großbritanniens, gerüchteweise ist von 60 bis 100 Milliarden Euro ist die Rede. Summen, die London glattweg ablehnt.

Der Vorschlag Mays für eine Übergangszeit wäre auch ein Entgegenkommen an die EU. Denn auch auf dem Kontinent wächst die Sorge der Wirtschaft, dass die Zeit bis Anfang 2019 nicht ausreichen wird, um künftige Abkommen zwischen Großbritannien und der EU auszuhandeln.

Die Quertreiber

Doch selbst wenn die britische Regierungschefin in ihrer Rede erstmals mehr anbietet als zuvor, bleibt die Frage: Kann sich May gegen die Quertreiber in ihren eigenen Reihen tatsächlich durchsetzen? Kann sie halten, was sie verspricht? Erst am Wochenende hatte Außenminister Boris Johnson in einem medialen Frontalangriff gefeuert: Sein Land werde sich nicht zu einem "Vasallenstaat" der EU degradieren lassen. Brexit bedeute, der Austritt des Vereinigten Königreichs müsse am 29. März 2019 ohne Wenn und Aber vollzogen sein.

Fast 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und mehr als einer Million Briten in den 27 anderen EU-Staaten aber plagen weiter große Sorgen. Bis Oktober hätten sich London und Brüssel über ihre künftigen Rechte einigen sollen. Vernünftige Vorschläge aus London dazu seien bisher ausgeblieben, heißt es in Brüssel.

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