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"Science Care": Anlaufstelle für angefeindete Forscher zieht Bilanz

30-10-2024, 11:46

Die Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat vor zwei Jahren eine Anlaufstelle ins Leben gerufen, an die sich angegriffene Forscher wenden können. Grund waren zahlreichen Angriffen auf Wissenschaftler während der Corona-Pandemie.

Die Beratungsstelle "Science Care" hat seit dem Start etwa zehn Fälle verzeichnet, ihre Unterstützung wird von den betroffenen Forschern geschätzt. Die Lage scheint sich allmählich zu beruhigen, doch eine Entwarnung ist noch nicht möglich, so die ÖAW auf APA-Anfrage.

Besonders Forscher zu Antisemitismus, Impfungen, Corona und Migration angefeindet

In der Covid-19-Pandemie waren viele Forscherinnen und Forscher mit Anfeindungen, Hassbotschaften und Drohungen konfrontiert. Die Angriffe gingen aber über das Reizthema "" hinaus, damit konfrontiert waren auch Forscher aus anderen konfliktträchtigen Bereichen, die sich öffentlich zu Wort meldeten. Besonders betroffen seien Forschungen zu den Themen Antisemitismus, Impfungen und Corona sowie Migration, heißt es seitens der Akademie. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die sich an "Science Care" wandten, sahen sich dabei u.a. Angriffen von Impfgegnern, antisemitischen Mails, Shitstorms nach öffentlichen Auftritten oder Plagiatsvorwürfen ausgesetzt.

Ihnen bietet die Beratungsstelle u.a. mediale Krisenkommunikation, psychologische und rechtliche Beratung, Empfehlungen wie eine ausgelagerte Betreuung von E-Mail-Postfächern oder Social Media-Accounts. Für ÖAW-Präsident Heinz Faßmann hat "Science Care" viel bewegt. "Auch wenn sich die Situation nach Corona etwas beruhigt zu haben scheint, können wir keinesfalls Entwarnung geben. Hinter jedem Fall steht eine Geschichte, die mit persönlicher Belastung zu tun hat. Wir müssen das Thema weiterhin sehr ernst nehmen", betonte er in einem Statement gegenüber der APA.

Massive Angriffe nach Vortrag mit Impfgegnern

Martin Tschiggerl vom Institut für Kulturwissenschaften der ÖAW hat sich 2022 an die Beratungsstelle gewandt. Ein Forschungsschwerpunkt des Historikers ist die Geschichte der Impfgegnerschaft im deutschsprachigen Raum vom 19. Jahrhundert bis heute. Zu dem Thema schreibt er nicht nur seine Habilitation, sondern hat dazu in den vergangenen Jahren auch viele Vorträge gehalten. Während selbst größere Veranstaltungen in Regionen mit vielen Impfgegnern ruhig über die Bühne gingen, sei 2022 ein sehr kleiner Vortrag an der ÖAW mit rund 15 Teilnehmern eskaliert, erinnerte sich Tschiggerl im Gespräch mit der APA. Zwei Teilnehmer hätten sich als "Aktivisten" entpuppt, Flugblätter dabei gehabt, wütend und beleidigt Fragen gestellt. "Ich habe dann leider schlecht reagiert und war relativ konfrontativ, wodurch die Sache eskaliert ist", so Tschiggerl. Kolleginnen und Kollegen hätten dann kalmiert und er habe die Angelegenheit für erledigt betrachtet.

Doch dann habe einer der beiden Vortragsteilnehmer einen Offenen Brief mit massiven Angriffen gegen den Historiker an zahlreiche ÖAW-Angehörige verfasst. Nachdem das Schreiben in Sozialen Medien wie Twitter (heute X) verbreitet und in einem relativ großen Impfgegner-Blog veröffentlicht worden war, "hat die ganze Sache Fahrt aufgenommen. Auf Twitter gab es einen richtigen Shitstorm, und auch persönliche Drohungen. Die waren nicht so schlimm, wie es oft Kolleginnen erfahren, mit Todes- oder Vergewaltigungsdrohungen, aber doch mit der Forderung, mich doch einmal zurechtzuwatschen, die Adresse des Büros sei ja ohnedies öffentlich sichtbar, usw."

"Science Care" stärkte angegriffenen Forscher den Rücken

Er habe sich daraufhin an die damals neue ÖAW-Beratungsstelle "Science Care" gewandt. "Ich bin dort gleich sehr gut unterstützt worden und es wurde sofort Kontakt zur Rechtsabteilung und einem Arbeitspsychologen hergestellt", sagte Tschiggerl. Der Wissenschafter folgte dem Rat, keine weiteren Schritte zu unternehmen, etwa auf Abmahnungen wegen der Verwendung privater Fotos zu verzichten, und auch sonst nicht zu reagieren, um nicht zusätzlich Öl ins Feuer zu gießen. Auch den Psychologen habe er nicht gebraucht. "Ich habe mich nicht persönlich bedroht gefühlt, aber es war gut zu sehen, dass mir der Rücken gestärkt wird, dass der Arbeitgeber hinter einem steht, ich nicht das Gefühl vermittelt bekomme, etwas falsch gemacht zu haben, und es jemanden gibt, der einem sagt, mach das und mach das nicht."

Rückblickend betrachtet sei der Rat von "Science Care" "die völlig richtige Strategie" gewesen. "Wie soll man mit jemandem diskutieren, der von Anfang an wütend ist, sich von Anfang an persönlich angegriffen fühlt und von Anfang an nicht an einer offenen Debatte interessiert ist." In der Folge habe er bemerkt, "schon ein bisschen eine Schere im Kopf angesetzt zu haben". So habe er sich eine Zeit lang auf Twitter zurückgehalten und seinen Account auf privat gestellt. "Mittlerweile mache ich es aber genau so, wie ich es vorher gemacht habe", so Tschiggerl.

Denn gar nicht zu kommunizieren, kommt für den Historiker nicht in Frage, "weil dann überlässt man das Spielfeld den Radikalen". Aber wenn man öffentlich kommuniziert, müsse man damit rechnen, angegriffen zu werden. Und Wissenschafterinnen und Wissenschafter müssten mit Anfeindungen umgehen lernen, "das wird nicht weniger werden", sagte der Historiker.

Das dürfte auch der Grund sein, warum sich zahlreiche Institutionen der ÖAW zufolge über "Science Care" erkundigt haben. Man stehe hier im Austausch etwa mit den Universitäten Graz und Innsbruck, dem Wirtschaftsforschungsinstitut oder der Deutschen Akademie Leopoldina. Zudem ist die Beratungsstelle auch prophylaktisch tätig, etwa in Medientrainings oder der spezifischen Beratung vor größeren medialen oder öffentlichen Auftritten, speziell zu den Themen Antisemitismus oder Corona-Themen.

(APA/Red)

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