Es soll aber keine "Kulturgeschichte des Klimas" sein, "die danach fragt, wie das durchschnittliche Wetter einer Epoche die Lebensweise, die sozialen Probleme und das Denken beeinflusst haben". Sondern eine "Wahrnehmungsgeschichte".
Es soll aber keine "Kulturgeschichte des Klimas" sein, "die danach fragt, wie das durchschnittliche Wetter einer Epoche die Lebensweise, die sozialen Probleme und das Denken beeinflusst haben". Sondern eine "Wahrnehmungsgeschichte".
Heute werde der Begriff des Klimas fast nur noch im Kontext mit Klimawandel, Klimakollaps oder Klimaschutz verwendet, während die gültige Definition der Weltorganisation für Meteorologie mit statistischen Mitteln von Messwerten wie Temperatur, Niederschlag oder Wind operiere, konstatiert die Gründerin und Leiterin des Vienna Anthropocene Network - und hält diesen Ansatz für ziemlich unsinnlich. Wie haben die Menschen früher das, was wir heute unter Klima verstehen, wahrgenommen - und welche Begrifflichkeiten und Erklärungsmuster hatten sie dafür, fragt Horn - und entwickelt gleichzeitig mit ihrer "Wahrnehmungsgeschichte" eine "Wissensgeschichte".
Ohne Luft kein Leben. Dass aber auch "Unheil in der Luft liegen" kann, war schon lange vor naturwissenschaftlichen Nachweisen für mikroskopisch kleine Krankheitserreger bekannt, und üble Ausdünstungen wurden als schädlichen Miasmen bekämpft. Horn sucht ästhetische Niederschläge von phänomenologischen Wahrnehmungen - und stellt etwa zwei Scirocco-Gedichte von Friedrich Hebbel (1848) und Christian Morgenstern (1911) nebeneinander. Der unaufhörlich blasende heiße Wind ist imstande, einem den letzten Lebenswillen auszutreiben. Lüfte, Winde oder Atmosphäre, Wetter oder Witterung - den Launen der Natur fühlten sich die Menschen schon immer ausgesetzt, und die deutsche Forscherin geht den Reimen, die sie sich darauf machten, gründlich auf den Grund.
Für ihre Bücher wie "Zukunft als Katastrophe" (2014) hat Eva Horn 2020 den Heinrich-Mann-Preis erhalten. "All ihre Essays verbinden Wissenschaftsgeschichte mit Literatur und Kunst. Die politische Perspektive verliert sie dabei nie aus dem Blick. Ihr Schreiben ist politische Publizistik", rühmte die Jury damals. Das stimmt auch für "Klima". Mit diesem Buch geht Horn nun jedoch auf die Langdistanz. Und die hat ihre Durststrecken.
Ihre große Imaginationsgeschichte des Klimas ist weit ausholend, greift auf Referenzen in Medizin und Philosophie ebenso zurück wie auf William Turners flirrende Ölgemälde oder Goethes Wolkenbeschreibungen und führt logisch bis zur "Climate Fiction" der Gegenwart. Kim Stanley Robinsons "Ministerium für die Zukunft" widmet sie ebenso ausführliche Gedanken wie dem fünfteiligen Roman "Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen" des Österreichers Philipp Weiss.
Im Schlusskapitel plädiert Horn "für einen Wandel dessen, was Klima für uns ist". Es brauche "dringend neue Vorstellungen davon, was es heißt, sich im Klima zu situieren", um den notwendigen Einklang mit der Natur selbstverständlich zu machen. Im Gegensatz zum Soziologen und Philosophen Bruno Latour, der dafür den Begriff "Erdverbundenheit" eingeführt hat, schlägt sie vor, dieses Einheitsgefühl "Luftverbundenheit" zu nennen. Was damit gewonnen wäre, bleibt unklar, doch wie es Eva Horn am Ende ihres Buches formuliert, wenn sie von einem "Weltverhältnis, das reich, kreativ und sinnlich" ist, klingt es so paradiesisch wie poetisch: "Luftverbunden zu sein, bedeutet, in einer Welt zu sein, in der alles fließt, aber nichts verlorengeht, in der alle einen Atem teilen, gemeinsam wirbelnd in der Strömung des Luftmeers."
(Von Wolfgang Huber-Lang/APA)
(APA/Red)