Hilpold erkannte ein "rechtsgültiges Zustandekommen" des Gesetzes, obgleich Gewessler in einer "Grauzone" gehandelt habe. Für ihn war klar, dass "der Wahlkampf nach Brüssel getragen worden ist."
Hilpold erkannte ein "rechtsgültiges Zustandekommen" des Gesetzes, obgleich Gewessler in einer "Grauzone" gehandelt habe. Für ihn war klar, dass "der Wahlkampf nach Brüssel getragen worden ist."
Der an der Universität Innsbruck lehrende EU-Experte meinte, dass man sich in diesem Fall - mangels Präzedenzfällen im Europarecht - auf allgemeines Völkerrecht berufen müsse. Und dies besage klar, dass die anderen Vertreter der EU-Staaten davon ausgehen und darauf vertrauen mussten, dass Gewessler als fachzuständige Ministerin auch entscheidungsbefugt sei. "Wenn die Vertretungsbefugnis von Staatenvertretern auf Zuruf ständig in Zweifel gezogen werden könnte, weil es unterschiedliche Auffassungen über nationale Beschlussverfahren im Vorfeld gibt, würden internationale Entscheidungsverfahren völlig zum Erliegen kommen", verdeutlichte er seine Ansicht. Der Brief von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) an den belgischen Ratsvorsitz, in dem der Kanzler Gewesslers Unzuständigkeit erklärt hatte, änderte für Hilpold auch nichts: "Der Bundeskanzler hat gegenüber seinen Ministern keine Richtlinienbefugnis", sah er auch eine Bedeutung auf EU-Ebene.
Gewessler hätte laut Hilpold die innerstaatliche Zuständigkeit "offenkundig" verletzen müssen, zudem hätte es eine "innerstaatliche Bestimmung von grundlegender Bedeutung" betreffen müssen. Beides sei hier nicht gegeben. Dass die Frage strittig sei, zeige alleine die aktuelle Diskussion und die in Form von Gutachten am Tisch liegenden, unterschiedlichen Rechtsmeinungen. Hilpold sah daher vielmehr eine "Grauzone" und Nachbesserungsbedarf im Bereich der österreichischen Gesetze, nachdem das Verfahren "unklar geregelt" sei und es offenkundig eine "Regelungslücke" gäbe. Es sei nicht klar, was das politische Ausscheren der SPÖ-geführten Bundesländer Wien und Kärnten aus der zuvor gefassten einstimmigen, ablehnenden Länderstellungnahme zum EU-Renaturierungsgesetz bedeute. Doch dafür brauche es für den Rechtsexperten keine Entscheidung eines Gerichts - weder auf EU-Ebene noch auf nationaler Ebene. "Das ist eigentliche eine politische Frage", sah er die Lösung im parlamentarischen Prozess verortet.
Sollte der EuGH wider seines Erwartens - andere EU-Rechtler waren hier anderer Meinung - die Nichtigkeitsklage doch zulassen und zur Erkenntnis kommen, dass die Entscheidung rechtswidrig getroffen worden sei, "dann würde das Gesetz aufgehoben. Man könnte aber schon jetzt als vorläufige Maßnahme beantragen, dass das Gesetz nicht in Kraft treten kann." Eine Entscheidung des EU-Gerichts über Abweisung oder Zulassung erwartete er aber erst in eineinhalb Jahren - also nach Inkrafttreten des Gesetzes. Dieses müsse innerhalb von zehn Tagen im Amtsblatt veröffentlicht werden. Dann könne die Nichtigkeitsklage innerhalb einer Zwei-Monats-Frist eingebracht werden.
Hilpold sah Gewessler indes in Österreich auf juristisch sicherem Boden. Für eine Ministeranklage brauche es schließlich eine Mehrheit, eine Anzeige wegen Amtsmissbrauchs sei von "vorn herein aussichtslos" und zwar "weil es verschiedene Auffassungen gibt, da gibt es keine Einigkeit. Nicht einmal unter den Rechtsexperten. Zudem ist die innere Tatseite nicht gegeben und ein Vorsatz nicht nachweisbar", meinte er. Insgesamt wünschte sich der Europarechtler einen etwas moderateren Ton und einen sachlicheren Zugang zu Rechtsfragen. Fragen über nationale Verfahrenswege sollten, so wie EU-weit üblich, grundsätzlich national geklärt und nicht nach Brüssel getragen werden, da ansonsten das Ansehen Österreichs Schaden nehmen würde.
(APA/Red)