Forscher unterstreichen die essentielle Rolle von Migranten für den österreichischen Sozialstaat und warnen vor den gravierenden Folgen einer möglichen "Remigration". Alleine in Wien wäre die Versorgung der Bevölkerung ohne diese Menschen überhaupt nicht möglich.
Schon lange wirbt die FPÖ für "Minus-Zuwanderung", unter dem Titel "Remigration" fordert sie aktuell "Asylstopp" für Nicht-Europäer und die Abschiebung abgelehnter Asylwerber und krimineller Migranten. In Deutschland haben Rechtsextreme unter dem Schlagwort zuletzt Pläne zur Vertreibung von Millionen Menschen ausländischer Herkunft beraten. Die Umsetzung dieser Idee wäre fatal, warnten Forscher in Wien am Donnerstag, und betonten den Beitrag von Migranten zum Sozialstaat.
Ohne Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft wäre in einzelnen Branchen keine Geschäftstätigkeit mehr möglich, betonte Soziologe Jörg Flecker von der Uni Wien bei einem Online-Pressegespräch vom "Wissenschaftsnetz Diskurs". In der Gebäudereinigung und -betreuung, im Hotel- und Gastgewerbe und in der Arbeitskräfteüberlassung etwa seien mehr als die Hälfte der unselbstständig Beschäftigten keine österreichische Staatsbürgerschaft, in der Nahrungsmittelindustrie, dem Bauwesen und der Pflege immerhin noch ein Drittel. "Wenn ein Drittel der Beschäftigten fehlt, ist da nichts mehr zu machen in Wirklichkeit", skizzierte Flecker die Folgen des Plans, wie er laut Rechercheplattform Correctiv beim Rechtsextremen-Treffen mit u.a. dem früheren Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich Martin Sellner Ende 2023 in Potsdam skizziert wurde und von dem die FPÖ sich laut Flecker nie wirklich distanziert habe.
In Wien, wo im Österreich-Vergleich besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, wäre die Versorgung der Bevölkerung Flecker zufolge ohne diese Menschen überhaupt nicht möglich. In Beherbergung und Gastronomie etwa hätten drei Viertel der Erwerbstätigen Migrationshintergrund, am Bau und bei den sonstigen Dienstleistungen - darunter fällt etwa Gebäudereinigung - sind es zwei Drittel, in den Bereichen Erziehung und Unterricht sowie Gesundheits- und Sozialwesen vier von zehn Erwerbstätigen.
"Die Zuwanderer waren für die österreichischen Sozialkassen bisher ein Geschäft", betonte Philipp Ther, Professor für Geschichte Ostmitteleuropas an der Uni Wien. Natürlich würden etwa Sprachkurse oder Qualifikationsmaßnahmen vor allem nach der Migrationswelle 2015/16 auch etwas kosten. Die Bilanz falle historisch gesehen aber klar positiv aus. "Zuwanderer haben immer, wenn man nur halbwegs konstruktiv mit ihnen umgeht und sie nicht zu Unerwünschten erklärt, zum Wohlstand der Aufnahmegesellschaften beigetragen."
Flecker plädierte dann auch dafür, stärker hervorzuheben, welche positive Rolle die Migranten in Österreich durch ihre Arbeit leisteten. Ein Konzept einer radikalen "Remigration", bei dem Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft oder Wurzeln im Ausland des Landes verwiesen würden, wäre indes "ein Angriff auf die gesamte Bevölkerung". Eine zwangsmäßige Rückführung von Menschen mit Migrationshintergrund käme ethnischer Säuberung gleich, betonte Ther, und diese hätten historisch - etwa im ehemaligen Jugoslawien - immer zu einer Eskalation der Gewalt geführt, die sich zudem auch immer gegen weitere Gruppen wie andere Minderheiten, Intellektuelle oder Medienvertreter gerichtet habe. Damit verbunden wäre auch das Ende des Rechtsstaates und die Umwandlung der liberalen Demokratie in eine Ethnokratie, gemeinsam mit Wohlstandsverlust und Verarmung, so Ther.