Angesichts neuerlicher Rufe nach einer Senkung der Lohnnebenkosten warnt die Arbeiterkammer vor negativen Folgen solcher Maßnahmen.
Lohnnebenkosten seien wichtige Sozialstaatsbeiträge, weshalb bei Kürzungen Mittel für Familien- und Gesundheitsleistungen fehlen würden, so die Sozialpolitik-Leiterin der AK Wien, Sybille Pirklbauer, am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Durch Kürzungen der vergangenen zehn Jahre seien dem Staat bereits 16 Milliarden Euro an Einnahmen entgangen.
Lohnnebenkosten seien wichtige Sozialstaatsbeiträge
Lohnnebenkosten sind Beiträge der Arbeitgeber, die sie zusätzlich zum Bruttolohn für ihre Mitarbeiter abführen müssen. Dazu gehören etwa Beiträge für Unfall-, Pensions-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung, Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) und Abfertigungen. Forderungen nach einer Senkung dieser indirekten Arbeitskosten kritisiert die AK als populistisch. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würden dabei doppelt draufzahlen. Denn Unternehmen würde die Entlastung nicht an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Form höherer Löhne weitergegeben. Zudem würden Kürzungen massive Budgetlücken in den Sozialstaat reißen. Entweder müsse dann die Regierung mit Steuergeld einspringen oder es drohen Kürzungen der Sozialleistungen, so Pirklbauer.
Eine Kürzung der Beiträge zum FLAF und zur Arbeitslosenversicherung, wie von der ÖVP gefordert, hätten laut Pirklbauer "dramatische Folgen" und würde über kurz oder lang zwangsläufig zu Kürzungen von sozialstaatlichen Leistungen führen. Als mögliche Szenarien nennt die AK, dass Schulbücher oder Schulfahrten selbst bezahlt werden müssten, was erhebliche Mehrkosten für Familien mit Kindern bedeuten würde, oder dass Selbstbehalte im Gesundheitsbereich eingeführt werden.
Nur wenige Unternehmen würden von Entlastungen profitieren
Von den Entlastungen würden laut AK nur einige wenige Unternehmen besonders profitieren, nämlich jene die besonders viele Mitarbeiter haben, so die ÖGB-Volkswirtschaftsexpertin Miriam Fuhrmann. Fast die Hälfte der Ersparnisse würde nur ein Prozent der Unternehmen betreffen, besonders Banken und Versicherungen wären die großen Profiteure, Kleinbetriebe mit wenigen Angestellten dagegen kaum.
Als "Mythos" kritisiert die AK das Argument, dass der Wirtschaftsstandort Österreich durch geringere Lohnnebenkosten aufgewertet würde. Im Gegenteil, wenn etwa Leistungen im Gesundheitsbereich schlechter werden oder Mittel für den Ausbau der Kinderbetreuung fehlen, würde der Standort sogar abgewertet, weil Mitarbeiter öfter krank bzw. Eltern am Arbeitsmarkt fehlen würden. Auch dass durch Kürzungen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen würden, hält Fuhrmann für ein "vorgeschobenes Argument". Die Kürzungen der vergangenen Jahre hätten keine maßgeblichen Effekte auf die Beschäftigung gehabt.
Statt einer Senkung der Lohnnebenkosten fordert die AK, dass "schwarze Schafe" unter den Unternehmen, die etwa Überstunden nicht ausbezahlen oder Mitarbeiter im AMS "zwischenparken", in die Pflicht genommen werden sollten. Gefordert wird etwa eine Erstauftraggeber-Haftung, wirksamere Strafen bei Lohn- und Sozialdumping, mehr Kontrollen und Anreizsysteme für Unternehmen, die selten Mitarbeiter kündigen ("experience rating"). Spielraum für eine Neugestaltung der Abgaben gebe es erst bei ausreichender Gegenfinanzierung etwa durch Vermögenssteuern oder eine Rücknahme der Senkung der Körperschaftssteuer für die größten Unternehmen, so Pirklbauer.
Warnungen der Arbeiterkammer
Die Warnungen der AK nicht nachvollziehen konnten naturgemäß die Befürworter einer Senkung der Lohnnebenkosten. Industriellenvereinigung (IV), Wirtschaftskammer (WKÖ), Wirtschaftsbund, Handelsverband und NEOS betonten die Notwendigkeit der Maßnahmen angesichts der konjunkturell herausfordernden Zeiten, um den Faktor Arbeit zu entlasten und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern. Die WKÖ argumentierte, dass von einer Senkung der Lohnnebenkosten alle - auch die Beschäftigten - profitieren würden. Sozialleistungen seien dadurch nicht gefährdet. "Wenn es hier hingegen keine Entlastung gibt und österreichische Produkte weiter an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, dann profitieren weder die Unternehmen noch die Beschäftigten, sondern im Gegenteil: Nichtstun kostet Wohlstand und Beschäftigung", warnte Generalsekretär Karlheinz Kopf. Der Wirtschaftsbund betonte, dass auch Klein- und Mittelbetriebe sehr wohl von einer Entlastung profitieren würden.
Der Handelsverband kritisierte, dass es nicht mehr schlüssig zu erklären sei, warum viele Leistungen, die der Allgemeinheit zugutekommen, einseitig durch Beiträge von Beschäftigten aus der Privatwirtschaft finanziert würden. "Anders als von der Arbeiterkammer heute dargestellt fordern wir keinerlei Kürzungen bei den Sozialleistungen, sondern eine Reform der Finanzierung", so Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.
Die NEOS warfen AK und ÖGB "unredlichen Populismus" vor. Natürlich würde eine Senkung der Lohnnebenkosten eine Entlastung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeuten, meinte Wirtschafts- und Sozialsprecher Gerald Loacker. Einsparungspotenzial sieht er insbesondere bei den Teilen, die Arbeitnehmer nicht betreffen, aber trotzdem von den Unternehmern gezahlt werden müssten wie dem Wohnbauförderungsbeitrag oder Kammerumlage. Eine Senkung würde nicht nur Wirtschaftsstandort und Wettbewerbsfähigkeit sichern, sondern auch gegen die Teuerung wirken, so Loacker.