Wiener Demographen analysierten, wie unterschiedlich sich die Coronapandemie in Sterbe- und Geburtenraten europäischer Länder niedergeschlagen hat.
In Österreich starben laut von Wiener Demographen im Vergleich mit dem Jahr 2019 um zwölf (2020) bzw. zehn Prozent (2021) mehr Menschen - ein deutlich niedrigeres Plus als in vielen Staaten Ost- und Südosteuropas. Die Lebenserwartung sank hierzulande leicht. Ein leichtes Plus brachte die aber bei den Geburten.
Die Coronapandemie brachte ein Mini-Plus bei den Geburten
"Keinen großen Effekt" habe man europaweit bei den Geburten feststellen können, erklärte Tomáš Sobotka vom Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) am Dienstag vor Journalisten. Schon zu Beginn des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 wurde munter über einen "Corona-Babyboom" spekuliert. Die tatsächliche Entwicklung ging aber in die gegenteilige Richtung, zeigen die Forscher um Sobotka, Zuzanna Brzozowska und Kryštof Zeman in ihrem zusammen mit Kollegen vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien und Universität Wien erstellten "European Demographic Datasheet" - zumindest am Beginn der Pandemie.
Zwölf Prozent erhöhte Sterberate in Österreich durch Coronapandemie
Trotzdem
habe sich auf dem Gebiet vieles getan: So zeigte sich ab dem Ende des
ersten Pandemie-Jahres, neun Monate zeitversetzt zu den ersten Lockdowns
in den meisten Staaten nahezu überall ein Geburtenrückgang. In
Österreich verzeichnete man im Dezember 2020 ein Minus von fünf Prozent
gegenüber der Geburtenzahl des gleichen Monats im Jahr 2019. Zum
Vergleich: Im EU-Schnitt lag das Minus bei acht Prozent, in Spanien
schlug der erste Lockdown am stärksten durch (21 Prozent weniger
Geburten im Jahresvergleich Ende 2020).
"Corona-Babyboom" ist ausgeblieben: Geburten rückläufig
Die naheliegendste
Erklärung dafür ist für Sobotka die "Unsicherheit" in der ersten
Pandemiephase vor allem dort, wo sie relativ viele Opfer forderte und
Staaten mit rigiden Eindämmungsmaßnahmen reagierten. Das Minus drehte
sich aber im Frühjahr 2021 in ein leichtes Geburten-Plus im
EU-Durchschnitt. Schon im Februar 2021 verzeichnete Österreich etwas
höhere Geburtenzahlen im Vergleich zum Februar 2020. Hier dürften erste
Signale in Richtung "die Pandemie ist vorbei" im ersten Corona-Sommer
und die Einsicht gewirkt haben, dass der Arbeitsmarkt sich nicht in
Auflösung befinde, erklärten Brzozowska und Sobotka.
Geburten-Plus im ersten Corona-Sommer in Österreich
In der Folge gab es hierzulande auch einen relativ starken Geburtenanstieg im Herbst 2021. In den Winter-Lockdowns davor scheinen dann einige Paare ihre Familienpläne wieder umgesetzt zu haben. So sah man Ende 2021 in Österreich zum Beispiel viele Zweit- und Drittgeburten.
Anders die
Entwicklung im Norden Europas: Hier sehe man kaum einen Einbruch der
Geburtenraten in Folge der ersten Pandemie-Phase und danach ein vielfach
markantes und beständiges Plus. Hier könnte die Pandemie weiten Teilen
der Gesellschaft "vielleicht weniger Stress gebracht haben" als in
unseren Breiten, meinte Sobotka.
Große Unterschiede brachte Corona bei den Sterberaten
Sehr große Unterschiede brachte
Covid-19 bei den Sterberaten und dementsprechend bei der Entwicklung der
Lebenserwartung. Im Kosovo lagen die Todeszahlen in den Jahren 2020 und
2021 um 36 Prozent über dem Wert von 2019. Ähnlich dramatisch fiel das
Plus in Albanien (34 Prozent), Russland und Bulgarien (jeweils 28
Prozent) oder Nordmazedonien (26 Prozent) aus. Diese Werte seien die
höchsten seit dem Zweiten Weltkrieg und international vergleichbar mit
dem Todesfall-Plus, das etwa in Teilen Afrikas in den 1990er-Jahren
durch AIDS verursacht wurde, so die Demographen.
Übersterblichkeit viel in westlichen Ländern niedriger aus als anderswo
Auch die
hierzulande verzeichnete Übersterblichkeit habe man seit dem Zweiten
Weltkrieg nicht mehr registriert. Sie fiel aber in den westlichen
Ländern Europas fast durchwegs deutlich niedriger aus als in vielen
südlichen und östlichen Ländern. Dort ließen schlechtes
Pandemiemanagement, ein mitunter laxes Einhalten von Maßnahmen und
niedrige Durchimpfungsraten die Lebenserwartung signifikant absinken.
Das verschärfte das schon vor der Pandemie bestehende Auseinanderdriften
der erwartbaren Lebenszeit in Europa.
Verluste ind er Lebenserwartung verzeichnen Tschechien und Ungarn
So verkürzte sich seit
Pandemiebeginn die Lebenserwartung russischer Frauen im Schnitt um 3,7
Jahre. Die durchschnittliche Spanierin (Lebenserwartung: 85,9 Jahre)
könne mittlerweile mit elf Lebensjahren mehr rechnen als Frauen in
Russland (74,4 Jahre). Um satte 17 Jahre kürzer ist die Lebenserwartung
bei russischen Männern (65,5 Jahre) im Vergleich zu Schweizern (82,3
Jahre). Deutliche Verluste in der Lebenserwartung verzeichneten u.a.
auch Tschechien oder Ungarn (in etwa minus zwei Jahre).
Lebenserwartung in Österreich liegt bei Frauen bei 83,6 und Männern bei 78,9 Jahren
In
Deutschland lag der Verlust bei knapp unter einem halben Jahr und damit
etwas niedriger als hierzulande. Die Lebenserwartung in Österreich lag
bei Frauen im Jahr 2020 bei 83,6 und bei Männern bei 78,9 Jahren. Im
Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 sank sie bei Österreicherinnen um 0,6
und Österreichern um 0,8 Jahre. Mit Ausnahme von Schweden, das vor
allem am Pandemie-Beginn eine ähnliche Übersterblichkeit wie
mitteleuropäische Staaten verzeichnete, veränderte Covid-19 in vielen
nordischen Ländern hingegen kaum etwas an der Lebenserwartung, so die
Experten.