Der Ukraine-Krieg habe die Sicherheitslage in Europa verändert. Laut Ex-Armeechef Günter Höfler wäre deshalb die Aufklärung der Bevölkerung über die Vor- und Nachteile der Neutralität bzw. eines NATO-Beitritts von Österreich angebracht.
Der frühere Kommandant der Streitkräfte, Günter Höfler, fordert eine ehrliche und ernsthafte Debatte über die österreichische Sicherheitspolitik. Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine habe sich die Sicherheitslage in Europa völlig verändert, das erfordere eine Analyse und Auseinandersetzung mit der künftigen Aufstellung der österreichischen Streitkräfte und der sicherheitspolitischen Ausrichtung des Landes, sagte Höfler im APA-Interview.
"Es braucht Diskussion über Neutralität und NATO-Beitritt"
Man könne sich dieser Debatte nicht einfach entziehen und gar nichts machen. "Es braucht diese Diskussion. Die Bevölkerung muss über die Vor- und Nachteile der Neutralität genauso wie über die Vor- und Nachteile eines NATO-Beitritts informiert werden. Der Ausgang der Debatte ist offen, es kann am Ende die Neutralität beibehalten werden, ein NATO-Beitritt oder eine Allianzfreiheit stehen."
Eines ist für Höfler klar: Mit dem Beitrittsansuchen von Finnland und Schweden, werde Österreich künftig von den wesentlichen sicherheitspolitischen Entscheidungen in Europa ausgeschlossen sein. 27 von 23 EU-Staaten werden künftig NATO-Mitglieder sein. "Natürlich sind wir weitgehend isoliert. Der Kern der europäischen Sicherheitspolitik wird in der NATO gestaltet. Österreich muss sich die Frage stellen, ob es am Tisch sitzen und mitentscheiden oder von draußen zuschauen will."
Europäische Armee laut Höfler kein Thema
Eine
europäische Armee, die auch immer wieder angesprochen wird, sei auf
EU-Ebene absolut kein Thema. "Ich war zuletzt Leiter der
österreichischen Militärvertretung in Brüssel und kann sagen: Darüber
redet dort kein Mensch." Das werde nur in Österreich diskutiert. Es
werden auf EU-Ebene keine Parallelstrukturen aufgebaut werden, das sei
eine Illusion. Die österreichische Politik sei gefordert, die
Bevölkerung ehrlich und ernsthaft zu informieren und nicht im Unklaren
zu lassen. "Man muss den Menschen auch sagen, was die NATO wirklich ist,
was die Vor- und Nachteile einer Mitgliedschaft sind. Dann kann man
eine Entscheidung treffen", so Höfler.
Die Finnen und die Schweden hätten genau das gemacht. "Sie haben sich das gut überlegt und die Situation analysiert. Und sie haben für sich beschlossen, dass sie am besten geschützt sind, wenn sie Teil der NATO sind. Die Österreicher wollen das nicht gerne hören, aber der große Vorteil der NATO ist der nukleare Schirm. Den haben die Amerikaner. Nur die Amerikaner können Russland nuklear etwas entgegensetzen. Ohne diesen Schirm der USA sind wir in Europa atomar erpressbar und schutzlos", spricht Höfler Klartext.
Ex-Armeechef sieht Nachholbedarf bei Bundesheer
Den
Zustand der österreichischen Streitkräfte beschreibt Höfler so, dass in
nahezu allen Bereichen ein gewaltiger Nachholbedarf bestehe: "Wir haben
wesentliche militärische Fähigkeiten verloren, wir wurden
kaputtgespart. Worauf wir bauen können ist, dass wir Frauen und Männer
im Bundesheer haben, die bemüht sind, das Beste aus allem zumachen."
Verärgert zeigt sich der General i.R. mit dem Verhalten der österreichischen Politik. "Früher habe ich gesagt, dass wir einen schlampigen Umgang mit unserer Sicherheitspolitik haben. Heute muss ich sagen: Wir haben einen fahrlässigen Umgang mit unserer Sicherheitspolitik."
Neutralität seit EU-Beitritt in vielen Bereichen ausgehöhlt
"Die
sicherheitspolitische Lage in Europa hat sich völlig verändert. Man kann
angesichts der aktuellen Entwicklung die Diskussion nicht einfach
abdrehen. Eine verantwortungsvolle Politik würde partei- und
ideologiefrei eine Analyse vornehmen, die Ergebnisse transparent, klar
und ehrlich der Bevölkerung kommunizieren und zu einer Entscheidung
kommen", so Höfler, der glaubt, dass die Österreicherinnen und
Österreicher für Veränderungen durchaus empfänglich wären, wenn sie
ehrlich und transparent informiert werden würden.
"Es braucht
Leadership. Die Politik muss führen. Das heißt, nicht das zu tun, was
alle am liebsten hätten, damit es keinen Wirbel gibt, sondern das tun,
was für die Land das Beste ist", so Höfler. Sicherheitspolitik sei zu
komplex, um sie nach irgendwelchen Umfragen auszurichten. So sei die
Neutralität Österreichs seit dem EU-Beitritt des Landes in vielen
Bereichen ausgehöhlt. Die Menschen seien darüber aber nicht informiert
worden, was das bedeute. Österreich sei etwa verpflichtet, anderen
EU-Staaten im Krisenfall beizustehen. "Wenn wir uns auf die anderen
verlassen, müssen wir auch selbst in der Lage sein zu helfen. Es stellt
sich die Frage, ob wir dazu überhaupt fähig sein wollen, ob ich mich
sicherheitspolitisch selbst ernst nehme, ernst genommen werden möchte,
oder durchschlängeln will."