"Menschen sind keine Maschinen und haben natürliche Leistungsgrenzen." Das sagte SPÖ-Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wagner am Dienstag in Wien bei einer Pressekonferenz mit Medizinern, die vor negativen Folgen der von der Regierung geplanten Ausweitung der täglichen Arbeitszeit auf zwölf Stunden warnten.
Menschen, die mehr als 55 Stunden pro Woche arbeiten, haben ein um 40 Prozent erhöhtes Risiko, binnen zehn Jahren an Vorhofflimmern zu erkranken, das wiederum als bedeutendste Ursache für Schlaganfälle gilt. Das ergab 2017 eine finnisch-schwedische Untersuchung. Zahlreiche Studien belegen zudem, dass die Leistungsfähigkeit ab der siebenten Stunde abnimmt und das Unfallrisiko mit der Länge des Arbeitstages steigt.
"Müssen ja nicht darüber diskutieren, ob Erde eine Scheibe ist"
"Über Daten müssen wir nicht diskutieren - wir müssen ja auch nicht darüber diskutieren, ob die Erde eine Scheibe ist", sagte Georg Psota, der Past Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie und Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien. Längere Arbeitszeiten bedeuteten, dass Betroffene weniger Bewegung machten, mehr Alkohol und Nikotin konsumierten, das Suchtverhalten zunehme und damit das Risiko für Schlaganfälle, erläuterte der Psychiater.
Ein Zwölf-Stunden-Tag hat nicht für alle Betroffenen dieselben Auswirkungen. Rendi-Wagner sieht den größten Schaden für Arbeitnehmer mit geringer Qualifikation und geringen Entscheidungsspielräumen bei ihrer Tätigkeit. Sie seien eher von Disstress betroffen, also jenen Belastungen, die als unangenehm und überfordernd empfunden werden - im Gegensatz zum Eustress, der motivierend wirkt, wie Psota erklärte.
Eine Rolle spielt auch das Alter: Für 27-Jährige, die "young, free and single" sind, mag ein Zwölf-Stunden-Tag "super" sein, wie Psota meinte. Für eine 40 Jahre alte Alleinerzieherin treffe das vermutlich ebenso wenig zu wie für eine 54-Jährige, die sich neben der eigenen Familie um betreuungsbedürftige Eltern kümmern müsse. "Das Toxin der heutigen Zeit ist Stress", betonte der Psychiater, nach dessen Überzeugung die Tatsache, dass die meisten Frühpensionierungen wegen Erkrankungen mit psychischer Ursache erfolgen, in der Öffentlichkeit viel zu wenig diskutiert wird.
Chronischer Stress sei kein Spaß
"Chronischer Stress ist kein Spaß", erklärte der Arbeitsmediziner und Psychiater Rudolf Karazman, er führe unter anderem zu Rückenschmerzen, Herz-Kreislaufproblemen, Panikattacken und Depressionen. Nach seinen Erkenntnissen sehen sich die meisten Arbeitnehmer durch starken oder sogar sehr starken Stress belastet. Die Ursachen dafür lägen in hoher Arbeitsintensität bedingt durch Beschleunigung, Technologie und Deregulierung. "Eine Entgrenzung der Arbeitszeit ist kontraproduktiv", sagte Karazman, zumal Österreich ohnehin einer der produktivsten Standorte der Welt sei.
"Die Erschöpfung steigt während eines Arbeitstags progredient", erklärte der Experte. Damit steige auch der Bedarf an Erholungszeit. Er hält im Fall der Einführung eines 12-Stunden-Tags eine 30-Stunden-Woche bei vollem Ausgleich für erforderlich.
Zugleich wies Karazman auf ein weiteres Problem hin: das Absinken der körperlichen Leistungsfähigkeit ab einem Alter von 50 Jahren. Er hält deshalb eine Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit - und besonders der Nachtarbeitszeit - ab 50 für dringend angeraten. "Acht Stunden Nachtarbeit sind sie anstrengend wie 13 Stunden Tagarbeit, und zwar aufgrund des Absinkens der Körpertemperatur", erklärte der Fachmann. "Älterwerden heißt auch Kälterwerden. Deshalb sind acht Stunden Nachtarbeit mit 50 so anstrengend wie 16 Stunden Tagarbeit."
Warnung vor zusätzlichen Belastungen
Auch Erich Pospischil, Internist und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Arbeitsmedizin, warnte vor zusätzlichen Belastungen für ältere Arbeitnehmer. Er bezweifelt, dass alle von ihnen Zwölf-Stunden-Schichten bewältigen können. Überhaupt sieht er eine ganze Reihe praktischer Fragen zu wenig diskutiert: Mögliche Folgen der längeren Exposition "klassischer" Belastungen wie Lärm, Schadstoffen, Vibrationen und schwerer Lasten, die zu mehr gesundheitlichen Problemen führen und behandelt werden müssten.
Kanadische Forscher berichteten indes laut Ö1 über andere mögliche medizinische Folgen einer Arbeitszeitverlängerung: Ab 45 Stunden Arbeit pro Woche soll demnach bei Frauen das Diabetesrisiko steigen. "Wir haben gleich viele Frauen wie Männer miteinbezogen und hier ausschließlich jene Personen, die berufstätig sind und mehr als 15 Stunden pro Woche arbeiteten - inklusive Überstunden", so die Forscher. So sind der Studie nach Frauen, die 45 oder mehr Stunden pro Woche arbeiten, erheblich stärker gefährdet (plus 63 Prozent), an Diabetes zu erkranken als jene Teilnehmerinnen, die zwischen 35 und 40 Stunden pro Woche arbeiten. Bei Männern hingegen schien sogar das Gegenteil der Fall zu sein - laut den Daten sank mit den Arbeitsstunden das Diabetesrisiko, wenngleich nur minimal und statistisch nicht signifikant.