ÖSTERREICH: Heute nehmen Sie an dem kleinen Gipfel in Brüssel teil, der zum Schicksalsgipfel Europas werden könnte, oder?
Sebastian Kurz: Es geht vor alle um einen innenpolitischen Streit in Deutschland, der viel Negatives mit sich bringt, aber der auch eine wichtige neue Dynamik in die Migrationsdebatte gebracht hat. Es ist dieser innerdeutsche Konflikt, der das heutige Treffen notwendig gemacht hat und auch die Themenlage beim offiziellen Rat am Donnerstag bestimmt.
ÖSTERREICH: Was kann heute beim Treffen rauskommen?
Kurz: Alle jene, die sich dort große Fortschritte erwarten, werden enttäuscht werden. Es ist eine beratende Arbeitssitzung ohne Entscheidungsbefugnis, an der auch wichtige Player nicht teilnehmen. Wir sollten beim Rat am Donnerstag den vollen Fokus auf den Außengrenzschutz legen.
ÖSTERREICH: Die Fronten in Deutschland sind verhärtet. Seehofer will weiter Flüchtlinge an deutschen Grenzen abweisen. Wird die Koalition platzen?
Kurz: Es sieht derzeit nach verhärteten Fronten aus. Wir können diesen Konflikt aber auch nur von außen beobachten. Wichtig wäre es, dass Deutschland zu einer geeinten Politik findet.
ÖSTERREICH: Auf welcher Seite stehen Sie? Auf jener von Merkel oder jener von Seehofer?
Kurz: Ich mische mich nicht in einen innerdeutschen Konflikt ein. In Fragen der EU-Politik habe ich eine klare Linie: Wir wollen einen starken EU-Außengrenzschutz und ein neues Mandat für Frontex, damit Schlepperboote bereits in Nordafrika von der Abfahrt nach Europa abgehalten werden können. Es kann nicht sein, dass Schlepper entscheiden, wer zu uns kommt.
ÖSTERREICH: Frankreichs Macron und der EU-Parlamentspräsident warnen bereits davor, dass jetzt die ganze EU gefährdet sei. Droht die EU zu zerreißen?
Kurz: Die illegale Migration ist natürlich eine Gefahr für Europa.
ÖSTERREICH: Macron meint wohl nicht die Migration, sondern die gerade offen sichtbare Spaltung der EU – Visegrád, Italien gegen Merkel. Wo stehen da Sie?
Kurz: Die Spaltung entsteht ja durch die illegale Migration. Es verbietet ja niemand EU-Staaten, freiwillig Flüchtlinge aufzunehmen. Aber es kann nicht sein, dass Schlepper darüber entscheiden. Ich kann diesen derzeit hochstilisierten Konflikt innerhalb der EU nicht nachvollziehen. Entscheidend ist, dass es einen funktionierenden EU-Außengrenzschutz gibt und man aufhört, über eine Flüchtlingsverteilung zu reden, die nicht realisierbar ist. Und man sollte aus einem innerdeutschen Streit keinen EU-Konflikt machen. Wir stehen als Brückenbauer in der Mitte.
ÖSTERREICH: Einige verorten Sie im Orbán-Eck.
Kurz: Österreich ist ein Brückenbauer. Ich treffe daher in Vorbereitung auf den EU-Ratsvorsitz die Visegrád-Premiers, die EU-Spitzen, Kanzlerin Merkel und Präsident Macron.