Der Prozess gegen eine Schlepperbande, die für den Tod von 71 Flüchtlingen verantwortlich sein soll, die im August 2015 bei Parndorf in einem abgestellten Lkw entdeckt worden waren, ist am Montag mit den Plädoyers der Verteidiger ins Finale gegangen. Der Anwalt des Erstangeklagten forderte in Kecskemet, seinen Mandanten von der Mordanklage freizusprechen.
Der Verteidiger: "Ich möchte im Namen meines Mandanten und auch in meinem eigenen Namen mein Beileid zum Ausdruck bringen." Istvan Doma meinte, man möge den 31-Jährigen lediglich wegen Schlepperei verurteilen. Der Staatsanwalt hatte hingegen für den Afghanen in der Vorwoche lebenslange Haft ohne Chance auf vorzeitige Entlassung verlangt.
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Der Jurist wies in seinem Plädoyer die Rolle seines Mandanten als Chef der Schlepperorganisation zurück. Für den Erstickungstod der 71 Migranten sei der Viertangeklagte als Chauffeur des Lkw verantwortlich. "Mein Mandant war nicht der Chef der Organisation, er hat nur bei der Verwaltung der Gelder eine zentrale Rolle gespielt." Wäre er der Boss gewesen, dann hätte er mehr Einfluss gehabt und den Fahrer des Todes-Lkw stoppen können, sagte der Verteidiger.
Auch Miklos Magony, der rechtliche Beistand des Zweitangeklagten, ersuchte um ein milderes Urteil für seinen Mandanten. Der Anwalt verwies auf die Kooperationsbereitschaft des 31-Jährigen bei der Aufdeckung. Der Bulgare, der die Schleppungen organisiert haben soll, habe dabei auch ihn selbst belastende Aussagen gemacht, sagte Magony. "Das war ein erster Schritt meines Mandanten, um sein Bedauern hinsichtlich der Tragödie auszudrücken."
Bittet um zeitlich begrenzte Gefängnisstrafe
Sein Mandant sei ein Mittäter gewesen, verantwortlich für die Anwerbung von Chauffeuren in Bulgarien, deren Unterbringung und Entlohnung in Ungarn, für die Festlegung von Schlepperrouten und die Begleitung von -fahrten. Der Verteidiger ersuchte das Gericht um eine zeitlich begrenzte Gefängnisstrafe, während auch für ihn die Anklagebehörde lebenslange Haft gefordert hatte.
Der Lenker des Todes-Lkw, dem ebenfalls lebenslang droht, habe "die Tragödie nicht gewollt", betonte Zoltan Szklenar, Verteidiger des Chauffeurs. Der 27-jährige Bulgare habe als Viertangeklagter den Befehl seiner Bosse befolgt, trotz Schreien und Klopfen aus dem Laderaum nicht anzuhalten. Die Begleiter des Transportes hätten zudem den Mann beruhigt, dass die Migranten sicher genug Luft hätten, da sie die Gummidichtung der Tür entfernt und Löcher in das Dach gebohrt hätten.
Der Fahrer würde die Tragödie aufs Tiefste bedauern, "was sein Weinkrampf vor Gericht bewies", sagte Szklenar. Er ersuchte um einen Freispruch von der Mordanklage und um ein angemessenes mittleres Strafmaß für Schlepperei. Dieses beträgt im Falle der qualifizierten Schlepperei neun Jahre Haft.
Fünftangeklagter gehöre "als Mitglied" dazu
Laut Ivett Hölter, die Verteidigerin des Fünftangeklagten, der die Fahrzeuge für die Schlepperbande beschafft haben soll, hieße dies nicht, "dass er als Mitglied dazugehörte". Sie erinnerte an die Kontakte ihres Mandanten zum bulgarischen Geheimdienst bezüglich der Aufklärung. Die Verteidigerin plädierte auf einen Freispruch - oder, falls er doch nach Ansicht des Gerichts an der Schleppertätigkeit beteiligt war, auf eine milde Strafe.
Der Verteidiger des Sechstangeklagten, Gabor Köszegi, forderte für seinen Mandanten eine zeitlich begrenzte Gefängnisstrafe. "Wir stehen unten in der Hierarchie", so der Jurist. Sein Mandant säße im Gerichtssaal "nur in der zweiten Reihe, doch der Schatten fällt auch auf ihn".
Die Verteidigerin des Siebtangeklagten, Eva Molnar, erinnerte daran, dass ihr Mandant nur eine einzige Schlepperfahrt durchgeführt hätte. Dabei ging es jedoch um die Schleppung, die einen Tag nach der Tragödie von Parndorf erfolgte. Doch ihr Mandant hätte die Insassen des Fahrzeuges mit Wasser versorgt, und "keine Absicht gehabt, die Insassen des Fahrzeuges zu verletzen". Darum ersuchte sie das Gericht um eine milde Strafe, da ihr Mandant kein Mitglied der Verbrecherorganisation war.
Istvan Molnar meinte, sein Mandant, der Neuntangeklagte, "war zur falschen Zeit am falschen Ort". Er sei nur Beifahrer gewesen, da er über keinen Führerschein verfüge, und habe keine Kenntnis von der Tätigkeit der Schlepperorganisation gehabt. Das Gericht solle bei der Festlegung des Strafmaßes das Geständnis seines Mandanten "honorieren".
Der Zehntangeklagte war der erste der Angeklagten, der nach der Tragödie verhaftet worden war, so seine Verteidigerin Csilla Miho-Szigethy. Er habe mit den Behörden kooperiert, sich zur Straftat der Schlepperei bekannt, jedoch dementiert, dass er Kenntnis darüber hatte, im Rahmen einer Verbrecherorganisation gearbeitet zu haben. Die Anwältin ersuchte das Gericht um eine Bewährungsstrafe für ihren Mandanten, der bereits fast drei Jahre in Untersuchungshaft sitzt.
Führende Rolle des flüchtigen Zwölftangeklagten
Verteidigerin Gabriella Felsöeöri-Paal wies die führende Rolle des noch flüchtigen Zwölftangeklagten in der Schlepperorganisation zurück. Dafür gebe es keine Beweise. Der als "Kairo" bezeichnete Mann war im August 2015 als Zeuge von den ungarischen Behörden verhört, jedoch nicht in Haft genommen worden. Die Hauptangeklagten hätten nun versucht, die Schuld für ihre eigenen Taten ihrem Mandanten anzulasten.
Am Dienstag folgen die noch ausstehenden Plädoyers der anderen Beschuldigten. Weiter können die Angeklagten von ihrem Recht eines Schlusswortes Gebrauch machen. Das Urteil will der Richter am Donnerstag ab 13.00 Uhr verkünden.
Die Menschenschmuggler hatten das Fahrzeug mit den 71 Leichen an der Ostautobahn (A4) im Burgenland zurückgelassen. Die Flüchtlinge, unter ihnen vier Kinder, sind allerdings noch auf ungarischem Staatsgebiet verstorben. Daher wird seit einem Jahr in Kecskemet gegen die mutmaßlichen Schlepper verhandelt. Ein Urteil ist für Donnerstag geplant.