"Das Alte und das Neue Testament" nennen Schüler und Kollegen des österreichischen Biologen Irenäus Eibl-Eibesfeldt noch heute ehrfurchtsvoll dessen Standardwerke "Grundriss der vergleichenden Verhaltensforschung" und "Die Biologie des menschlichen Verhaltens". Er begründete damit das Fach Humanethologie. Am Samstag, starb Eibl-Eibesfeldt 89-jährig im Kreis seiner Familie in Starnberg (Bayern).
Eibl-Eibesfeldt, am 15. Juni 1928 in Wien als Sohn eines Botanikers geboren, studierte an der Universität Wien Zoologie und begann seine wissenschaftliche Karriere an der Biologischen Station Wilhelminenberg bei Otto Koenig. 1949 holte ihn Konrad Lorenz an sein Institut für vergleichende Verhaltensforschung nach Altenberg, 1951 wechselte er mit diesem zur neugegründeten Forschungsstelle für Vergleichende Verhaltensforschung der Max Planck-Gesellschaft in Buldern (Westfalen).
Ab 1956 am neuen Max-Planck-Institut
Ab 1956 war er am neuen Max-Planck-Institut (MPI) für Verhaltensphysiologie in Seewiesen (Bayern) tätig. 1970 wurde er Leiter der Arbeitsgruppe Humanethologie am MPI in Seewiesen, später Leiter der Forschungsstelle für Humanethologie in Andechs bei München. Eibl-Eibesfeldt habilitierte sich 1963 an der Universität München, wo er von 1969 bis zu seiner Emeritierung 1996 Professor war.
In seinen Lehr- und Wanderjahren war der Forscher noch als klassischer Zoologe unterwegs. So lautete der Titel seiner Dissertation "Zur Paarungsbiologie der Erdkröte". Seine ethologischen Arbeiten über unterschiedliche Säugetiere trugen wesentlich zur Aufklärung des Begriffes "angeboren" bei.
Für diese Studien nahm der Wissenschafter an den meeresbiologischen "Xarifa"-Expeditionen seines Freundes Hans Hass zu den Galapagos-Inseln, in die Karibische See und den Indischen Ozean teil. Er entdeckte unbekannte zwischenartliche Vergesellschaftungen, etwa Putzsymbiosen, und andere Phänomene wie die Turnierkämpfe der Meerechsen.
Erkannte früh die Gefährdung der Galapagos-Inseln
Schon früh erkannte er die Gefährdung der Galapagos-Inseln und beantragte bei der UNESCO den Schutz der Inseln. Er bekam den Auftrag für eine Erkundungsexpedition, sein Bericht darüber führte in Folge zur Gründung der Darwin-Forschungsstation auf Santa Cruz und ersten Schutzgesetzen. 1960 erschien sein Buch "Galapagos. Arche Noah im Pazifik", das zu seinem 85. Geburtstag komplett überarbeitet unter dem Titel "Galapagos - Meine Entdeckungsreisen auf den Spuren von Charles Darwin" im Brandstätter Verlag neu erschienen ist. Noch mit über 80 Jahren besuchte er die Galapagos-Inseln.
Aus seiner tierethologischen Arbeit heraus entwickelte Eibl-Eibesfeldt das erste umfassende Lehrbuch der Ethologie, "Grundriss der Vergleichenden Verhaltensforschung", das 1967 erschien. Gleichzeitig wuchs sein konkretes Interesse am menschlichen Verhalten. Mit seinem 1984 veröffentlichten Buch "Die Biologie des menschlichen Verhaltens" legte er den Grundstein für die Humanethologie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin.
Grundlage für die Arbeit Eibl-Eibesfeldts waren zahlreiche Forschungsreisen zu traditionellen Kulturen unter anderem zu den Yanomami in Venezuela, den San in Botswana und den Eipo in Neuguinea. Durch direkte Beobachtungen und Auswertung der ungestellten Filmaufnahmen der Naturvölker entwickelte der Forscher unter anderem seine Thesen über angeborene und erlernte Verhaltensweisen. So entstand ein humanethologisches Filmarchiv, das über 300 Kilometer Film und 100 Stunden Videomaterial aus dem Alltagsverhalten in verschiedenen Kulturen umfasst. Vor einigen Jahren übergab der Verhaltensforscher sein Filmerbe dem Frankfurter Senckenberg-Institut.
Eibl-Eibesfeldt unterscuchte auch taub und blind Geborene
Zum Beweis seiner Theorie, dass jeder Mensch sein im Laufe der Evolution erworbenes Erbe in sich trage, untersuchte Eibl-Eibesfeldt auch taub und blind Geborene. Er belegte, dass sich auch bei diesen viele der typischen mimischen Ausdrucksbewegungen entwickeln, obwohl sie nahezu keine Möglichkeiten haben, vom sozialen Modell zu lernen. Der Wissenschafter hat daraus auf eine universale Grammatik des Sozialverhaltens geschlossen, ein "Verhaltensprogramm", das in den unterschiedlichsten Kulturen nach den gleichen Mustern abläuft.
Von diesem Ansatz aus unternahm Eibl-Eibesfeldt auch den Schritt in Richtung Kulturethologie, etwa mit seinem Buch "Liebe und Hass. Zur Naturgeschichte elementarer Verhaltensweisen" (1970). Ende der 1980er Jahre wandte sich der Wissenschafter der "Stadtethologie" und damit der Frage zu, wie der Mensch mit seinen angeborenen Verhaltensmustern in modernen Lebenssituationen umgeht. 1992 gründete er gemeinsam mit Karl Grammer das Ludwig Boltzmann-Institut für Stadtethologie in Wien, dessen Themen mittlerweile im Department für Evolutionäre Anthropologie der Uni Wien behandelt werden. "Es macht großes Vergnügen, menschliches Verhalten zu studieren und festzustellen, dass der Mensch nicht nur eine blinde Bestie ist", sagte Eibl-Eibesfeldt im Gespräch mit der APA anlässlich seines 85. Geburtstags.
Mit seinen Theorien fand Eibl-Eibesfeldt vor allem bei Sozialpsychologen und Lerntheoretikern nicht immer ungeteilten Beifall. So wurde ihm "Reduktionismus" und die Nichtbeachtung psychologischer und soziologischer Erkenntnisse vorgeworfen. Als Entgegnung dieser Vorwürfe empfahl er seinen Kritikern das Erlernen biologischer Grundkenntnisse.
Auch Eibl-Eibesfeldts aggressionstheoretische Ansätze, etwa dass der Mensch seiner Natur nach tendenziell fremdenscheu sei, fanden zahlreiche Kritiker. Derlei Aussagen und seine Warnungen vor dem unkontrollierten Vermischen von Kulturen wurden vielfach von rechtslastigen Gruppierungen missbraucht und fanden, wie Eibl-Eibesfeldt selbst sagte, "oft Beifall von der falschen Seite".
Eibl-Eibesfeldt, vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (1995) oder dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse (1998), hat zahlreiche Bücher, mehrere Handbuchartikel und über 450 Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht.
Im APA-Interview befragt, worauf er rückblickend stolz sei, meinte Eibl-Eibesfeldt: "Stolz kommt von stultus und das heißt dumm. Man darf nicht überheblich sein." Er habe aber "die Forschung über die Stellung und das Verhalten von Tier und Mensch in ganz entscheidenden Bereichen vorangetrieben".