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Ein Jahr Kurz: Fehlerlos, zu wenig Mut

1-01-1970, 00:00

Sebastian Kurz hat sein erstes Jahr als ÖVP-Parteichef – gegen alle Wetten – fehlerlos absolviert. Während sein blauer ­Koalitionspartner im ersten Regierungsjahr in so manchem Fettnäpfchen ausrutschte, läuft der Kurz-ÖVP-Express wie auf Schienen: Drei Wahlsiege in drei Ländern, kaum Widerstand gegen Kurz als Kanzler – im Gegenteil: Mit 62 % Zufriedenheit hat Kurz derzeit die besten Umfrage­werte in der gesamten EU.

Während Macron in Frankreich schon mit jeder Menge Streiks zu kämpfen hat, ist der 31-jährige „Wonderboy from Austria“ bei uns fast schon „Everybody’s Darling“. Noch nie hatte ein Kanzler so gute Werte und so wenig Gegner.

Woran das liegt? Kurz ist bei allen Reformen extrem vorsichtig, macht am liebsten nur das Populäre, die wenigen unpopulären Reformen versucht er zu verschweigen. Gleich­zeitig ist der neue Kanzler ein Meister des Marketing.

Wenn es Kurz schafft, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und das Nulldefizit ohne Streiks zu erreichen, kann er einer der populärsten Kanzler der Zweiten Republik werden.

Dazu fehlen ihm nur noch zwei Dinge:

Erstens mehr Mut zu Visionen, wie sie Kreisky hatte. Wir brauchen die Schulreform, die Digital-Offensive, Justiz-, Gesundheits- und Pensions-Reform.

Zweitens: Kurz muss auch zum Bürger-Kanzler werden – er muss in die Länder, an die Stammtische. In Brüssel gewinnt man keine Wahl.

Kurz-Gegner Kern hat erkannt, dass die fehlende Bürgernähe derzeit die einzige Schwäche von Kurz ist.

Kurz muss aufpassen, dass er nicht zu abgehoben regiert – denn die nächste Wahl wird der gewinnen, der am meisten direkt bei den Wählern ist.

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