Ist das schon eine Staatskrise? Tatsächlich haben die Vorgänge im Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) das Zeug zum Agententhriller. Es geht um die Macht in der Polizei – und den Versuch der FPÖ, Schwarz-Rot raus, Blau rein zu zwingen.
■ Dossiers, Pässe und nicht gelöschte Daten. Es ermittelt eine Korruptionsstaatsanwältin – und das wird untersucht: In einem Dossier wurden BVT-Chef Peter Gridling und drei Mitarbeiter angepatzt, auch von einem Sexskandal ist laut Presse die Rede. Dazu kam, dass Daten über Anwalt Gabriel Lansky nicht gelöscht wurden. Untersucht wird auch, wie in Österreich gedruckte nordkoreanische Pässe nach Südkorea kamen.
■ Razzia im Geheimdienst. Ende Februar marschierten 80 Beamte der Einsatzgruppe gegen Straßenkriminalität (EGS) ins BVT zur Razzia. Die EGS ist definitiv unzuständig – sie wird aber von einem nö. FPÖ-Politiker geleitet. Dies ist einer der Hauptvorwürfe gegen Innenminister Herbert Kickl. Beschlagnahmt wurden laut Profil Datensätze, CDs – und, das ist brisant: Ermittlungsdaten über ein weibliches Mitglied der Wiener Neonaziszene. Das steht im direkten Widerspruch zu Aussagen von Justizgeneralsekretär Christian Pilnacek vom Freitag.
Die Opposition vermutet aber, dass FP-nahe Polizeibeamte sehr daran interessiert waren, was das BVT über ihr politisches Umfeld ermittelt hatte – Stichwort Burschenschaften. Laut Pilnacek liegen die Daten bei der Justiz.
■ Gridling desavouiert. BVT-Chef Gridling ist derzeit im Zeitausgleich. Sein Vertrag sollte am 20. März verlängert werden, doch das haben Kickl und sein Ministeriumsgeneralsekretär Peter Goldgruber inzwischen de facto ausgeschlossen. Ein ÖVP-naher Topbeamter ist also ausgehebelt und wird wohl bald von einem FPÖ-nahen ersetzt werden.
■ Die Justiz. Spannend ist auch die Rolle der Justiz. Während der neue Minister Josef Moser (jetzt ÖVP, früher FPÖ) das robuste Vorgehen der Justiz untersuchen will, wiegelt sein Generalsekretär Pilnacek ab. Aufdecker Peter Pilz vermutet eine direkte Achse Pilnacek–Goldgruber mit dem Ziel, ÖVP-Beamte im Innenministerium auszubremsen.
■ Der Schaden ist jedenfalls enorm, das BVT in Zeiten von Terrorismus arbeitsunfähig und jetzt noch international isoliert.
Wie ÖSTERREICH erfuhr, ist der angedrohte U-Ausschuss zum BVT-Skandal so gut wie fix. Christian Kern (SPÖ), Matthias Strolz (Neos) und Peter Kolba (Liste Pilz) wollen sich bei der eilig einberufenen Sondersitzung des Parlaments am Mittwoch noch anhören, was Innenminister Herbert Kickl (FP) zu der Causa zu sagen hat. Danach, davon ist auszugehen, wird die Opposition die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beantragen.
Polli: "Jetzt sind Leute in Gefahr"
Gert-René Polli gründete und leitete das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT).
ÖSTERREICH: Sie sind der Ex-Chef des BVT. Wie erklären Sie die jetzigen Vorgänge?
Gert-René Polli: Es geht um einen seit Jahren schwelenden Konflikt. Das Betriebsklima ist seit Langem mehr als nur gestört, ein „Lack of leadership“ (Führungsschwäche). Auch geht es um politische Einflussnahme bei Postenbesetzungen. Es ist eine Auseinandersetzung zwischen jenen, die sich redlich Mühe geben, und solchen, die „parteiprotegiert“ werden.
ÖSTERREICH: Ist es ein Kampf Blau gegen Schwarz? Schließlich hat Noch-BVT-Chef Gridling eine ÖVP-Nähe ...
Polli: Hier geht es um politische Machenschaften, die aus einem Kreis der persönlichen Freundschaften entstanden sind, die tief in das Innenministerium hineinwirken. Viele Jahre gab es schwarze Innenminister. Die haben das einfach gewähren lassen. Das ist der Schaden, der jetzt an die Oberfläche tritt und rigoros beseitigt wird. Der Schaden für die Sicherheit der Republik ist jedenfalls unglaublich. Das BVT ist einer der Schlüsselbereiche der österreichischen Sicherheit, da geht es um Spionageabwehr, Extremismus und Personenschutz. Auch im Zuge der kommenden EU-Ratspräsidentschaft wird das BVT am meisten gefordert.
ÖSTERREICH: Welche Auswirkungen hat das?
Polli: Die Verbindung zum ausländischen Nachrichtendienst ist gestört, das ist eine katastrophale Entwicklung, die ein blauer Innenminister übernehmen muss. Es ist höchste Zeit, die Organisation wieder dahin zu bringen, wo Qualität herrscht, darum geht es im Wesentlichen.
ÖSTERREICH: Was passiert mit den Materialien, die jetzt beschlagnahmt wurden?
Polli: Die liegen jetzt bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft und werden ausgewertet. Erst dann wird zu entscheiden sein, ob es zu einer Anklageerhebung kommt oder nicht. Auch für den Direktor des BVT gilt die Unschuldsvermutung.