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Die Empfindlichkeit des Kanzlers und sein Inseraten-Storno in ÖSTERREICH

25-09-2017, 23:53

Kanzler Christian Kern hat Montagabend seine Wahlkampf-Inserate in ÖSTERREICH storniert. Es handelt sich dabei übrigens um die atemberaubende Summe von 50.000 Euro (das Jahresvolumen einer größeren Pizzeria), die weder den Wahlsieg noch den wirtschaftlichen Erfolg von ÖSTERREICH beeinflussen werden.

Es ist das gute Recht des Kanzlers, im Rahmen seines Wahlkampfs zu inserieren wo immer er will. Schon problematischer wird es, wenn der Kanzler offen mitteilt, dass das Inseraten-Storno nur deshalb erfolgt, weil ÖSTERREICH über ihn kritisch berichtet und ein Dossier aus seinem Wahlkampf-Team veröffentlich hat.

ÖSTERREICH hat tatsächlich am Donnerstag, Freitag und Sonntag zunächst in kurzen Auszügen, dann - aufgrund der großen Leser-Nachfrage - in vollem Wortlaut ein "Dossier" veröffentlicht, in dem Personen aus dem Wahlkampf-Team des Kanzlers für dessen höchst dubiosen "Berater" Tal Silberstein eine Analyse aller Schwachstellen des roten Wahlkampf-Apparates angefertigt hatten. Darin wurden - ziemlich schonungslos - auch alle Schwachstellen des Kanzlers (von seiner fehlenden Kritikfähigkeit bis zu seinen "panischen Reaktionen" auf kritische Zeitungsartikel) aufgezählt. 

Es ist die Pflicht kritischer Medien, Wahlkampf-Dossiers zu veröffentlichen

Es ist völlig verständlich, dass der Kanzler darüber nicht "amused" war. Aber es ist nicht Aufgabe kritischer Zeitungen, immer nur Artikel zu bringen, über die sich Politiker freuen. Und Politiker sollten nicht als "Strafe" für sie nicht genehme Berichte Interview-Verbote und Inseraten-Boykotte verhängen. Das ist schlechter, undemokratischer Stil a la Donald Trump.

ÖSTERREICH hatte - in ganz ähnlicher Form - eine Woche vor der Veröffentlichung des SPÖ-Dossiers auch das geheime "Strategie-Papier" von Sebastian Kurz veröffentlicht (der Kanzler und die SPÖ haben es übrigens damals noch genüsslich zitiert). Kurz hat damals deutlich professioneller und auch souveräner reagiert als der Kanzler.

Es steht völlig außer Frage, dass die Veröffentlichung beider "Strategie-Papiere" für jede unabhängige Zeitung eine journalistische Pflicht ist - darüber herrscht nicht nur bei fast allen Medienmachern sondern auch bei mehr als 90 % der Leser Einigkeit. (Auch den Abdruck der zustimmenden Leser-Mails und Postings - inzwischen sind es Tausende -  und sogar die Veröffentlichung von Karikaturen (!) hält der Kanzler übrigens mittlerweile für ungehörig und strafwürdig.) 

Wenn Kanzler Kern nun behauptet, der Abdruck eines SPÖ-eigenen Wahlkampf-Dossiers sei - so Kern wörtlich - "ein Angriff auf die politische Kultur im Land", so kann man nur noch den Kopf schütteln.

Selbstverständlich ist ein von Mitarbeitern des Ex-Kanzlers Gusenbauer verfasstes und an den Kern-Berater Tal Silberstein versandtes Wahlkampf-Dossier nicht "Privat", sondern in höchstem Maße politisch.

Selbstverständlich ist es auch nicht "privat", wenn das eigene (!) Wahlkampf-Team in diesem "Dossier" eine Schwachstellen-Analyse des eigenen Spitzenkandidaten anfertigt. Und selbstverständlich hat jeder Wähler ein Recht zu erfahren, wie die eigenen Wahlkämpfer Kern einschätzen - wenn die das schon höchst offiziell in einem Mail mit breitem Verteiler niederschreiben.

Wir bleiben fair zu Christian Kern – aber ein Kanzler sollte kein Mimoserl sein

Wichtig ist uns freilich festzuhalten: Im Gegensatz zu den Hyper-Empfindlichkeiten unseres Kanzlers führt ÖSTERREICH in diesem Wahlkampf keine Kampagnen. Wir versuchen, alle Parteien - egal ob sie Pilz, Kurz, Neos, Grüne, Strache oder Kern heißen - mit größtmöglicher Fairness zu behandeln.

Bis zum Abdruck des Dossiers gab es für den Kanzler keinen Grund zur Klage: Alle Berichte in ÖSTERREICH waren fair, ausgewogen, er hatte immer die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Dabei wird es - das versprechen wir Ihnen, liebe LeserInnen - auch bleiben. Wir werden Kanzler Kern in den verbleibenden Wochen bis zur Wahl genauso fair behandeln wie alle anderen Kandidaten.

Der Abdruck des "Dossiers", auf das der Kanzler wie eine Super-Mimose reagiert (er wird schon wissen, warum ihn dieser Abdruck so nervös macht), war journalistische Pflicht. 

Genauso  ist es unsere journalistische Pflicht, weiter ausgewogen und fair über den Kern-Wahlkampf zu berichten (so wie Sie es auf dieser Seite bereits sehen) - Inseraten-Stornos werden uns in unserer Berichterstattung ebenso wenig beeinflussen wie Inseraten-Buchungen.

Christian Kern sollte vielleicht trotzdem überlegen, ob seine Reaktion auf einen kritischen Artikel für einen Kanzler angemessen ist. Ein Regierungs-Chef sollte nicht in Verdacht kommen, bei Medien Zensur ausüben zu wollen - und er sollte kein Mimoserl und schon gar keine "Prinzessin" sein.

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