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In diesem Szenario ist Österreichs Neutralität hinfällig

Heute, 08:04

Ein vollständig neutrales Österreich sei im Fall eines russischen Angriffs auf Europa kaum denkbar, betont der deutsche Wirtschaftswissenschafter Guntram Wolff. Sollte Moskau die gesamte Ukraine erobern, hätte dies auch direkte Auswirkungen auf Österreich.

Obwohl die künftige Bundesregierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS in ihrem Regierungsprogramm die Neutralität bekräftigt, setzt sie auf europäische Zusammenarbeit und Solidarität. In dem Papier heißt es, Österreich leiste „einen aktiven Beitrag zur Schaffung von Sicherheit und Frieden“ und engagiere sich weiterhin für Abrüstung sowie Friedensmissionen.

Europas Defizite in der Verteidigung

Wolff warnt vor Europas militärischen Schwächen, insbesondere bei konventionellen Waffensystemen wie Panzern und Artillerie. Noch gravierender sei der Rückstand bei digitalen Verteidigungstechnologien, Satelliten, Nachrichtendiensten und Cyber-Sicherheit.

Seine Studie, veröffentlicht vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) in Zusammenarbeit mit Alexandr Burilkov vom Thinktank Bruegel, kommt zum Schluss, dass Europa die militärische Präsenz von 300.000 US-Soldaten ersetzen müsste. Um Effizienzgewinne zu erzielen, sei eine gemeinsame europäische Beschaffung dieser Systeme sinnvoll.

Kooperation als Schlüssel

Wie eine europäische Verteidigungsstrategie organisiert werden soll, sei noch unklar. Wolff hält eine Kooperation innerhalb der EU oder mit NATO-Staaten wie Norwegen und Großbritannien für ideal, räumt jedoch ein, dass politische Realitäten möglicherweise kleinere Koalitionen notwendig machen.

Europäische Rüstungsindustrie mit Potenzial

Trotz bestehender Defizite sieht Wolff große Chancen für die europäische Rüstungsindustrie. Im Vergleich zu den USA habe Europa industrielle Kapazitäten, um die Produktion rasch auszuweiten – entscheidend sei der politische Wille und die Bereitstellung finanzieller Mittel.

Zudem hält Wolff fest, dass Russland trotz militärischer Erfolge in der Ukraine nicht in der Lage sei, das gesamte Land zu überrennen. Dadurch binde Kiew russische Truppen und trage indirekt zur Sicherheit Europas bei.

Atomwaffen: Europas neue Realität?

Laut Wolff sei die nukleare Abschreckung der USA in Europa zunehmend unsicher. Der Schutzschirm sei „brüchig und zweifelhaft“ geworden – nicht nur wegen Donald Trumps Politik, sondern auch aufgrund grundsätzlicher Überlegungen in den USA. Europa müsse daher verstärkt auf eigene Kapazitäten setzen.

Frankreich und Großbritannien, als einzige europäische Atommächte, würden künftig eine größere Rolle spielen müssen. „Wahrscheinlich werden wir einiges an Geld in die Hand nehmen müssen, um die nukleare Abschreckung glaubwürdiger zu machen“, so Wolff.

(Das Gespräch führte Petra Edlbacher/APA)

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