Gastkommentar von Johannes Huber. Bürgermeister Ludwig weiß, was unter einem Kanzler Kickl zu erwarten ist. Die Flucht in die Neuwahl wird nichts daran ändern. Sie soll lediglich dem Parteiwohl dienen.
"In Wien stehen wir konsequent für demokratische Werte, Rechtsstaatlichkeit, Pressefreiheit und Menschenrechte. Wir wollen daher konzentriert für unsere Stadt arbeiten und Wien nicht einem monatelangen Wahlkampf aussetzen." So begründete Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) die Entscheidung, die Gemeinderatswahl vom Herbst auf den 27. April vorzuverlegen. Christoph Wiederkehr, sein Stellvertreter von den Neos, erklärte, es ziehe ein Sturm auf: „Blau-Schwarz bereitet Angriffe auf Wien vor, auf liberale Werte wie die Pressefreiheit, durch Kürzungen in der Bildungspolitik“, so Wiederkehr: Durch den baldigen Urnengang wolle man die Stadt nun „sturmfest“ machen.
Von wegen. Der Wahltermin soll einzig und allein dem Parteiwohl dienen. Beziehungsweise dem Wohl von Parteien: Wenn Blau-Schwarz auf Bundesebene kommt, was vielleicht schon Mitte Februar der Fall sein wird, dann ist das nicht nur schlecht für SPÖ sowie Neos und Grüne in Wien. Im Gegenteil, in der Stadt gibt es eine klare Mitte-Links-Wählermehrheit, hier ist also mit einer größeren Bewegung gegen einen Kanzler Herbert Kickl (FPÖ) und eine ÖVP zu rechnen, die ihm zu diesem Amt verhilft. Hier könnte es daher auch zu einer größeren Mobilisierung zugunsten von SPÖ, aber eben auch Neos und Grünen kommen in den nächsten Wochen. Darauf setzt Ludwig, daher soll möglichst schnell gewählt werden. Und Wiederkehr ist gerne dabei.
Notwendig wäre es nicht, die Wahl vorzuverlegen. Groß ändern wird sich letztlich kaum: Natürlich wird die FPÖ wohl auch in Wien stark zulegen, aber die ÖVP muss mit einem Absturz rechnen, sodass die beiden zusammen in der Minderheit bleiben dürften. Die SPÖ wiederum wird im schlimmsten Fall für sie hinterher nicht nur Neos, sondern auch Grüne für eine Koalition brauchen, für die drei Parteien wird es insgesamt aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft eine Mehrheit geben.
Was sich sehr wohl nachhaltig ändern wird, ist die politische Großwetterlage. Unter einem Kanzler Kickl wird sie gegen das „rote“ Wien kippen. Angesagt ist nicht mehr und nicht weniger als ein Kulturkampf, der gegen alles gerichtet ist, was SPÖ, Neos und Grüne ausmacht, was sie zulassen oder auch fördern. Von den Wiener Festwochen bis zur Regenbogenparade. Von Weltoffenheit bis Gendern bzw. „Irrwegen des linken Zeitgeistes“, wie es Kickl formuliert.
Das ist für die Stadtregierung von Michael Ludwig umso bedrohlicher, als sie erpressbar ist: Wien ist finanziell vom Bund abhängig, es befindet sich in einem katastrophalen Zustand. War man im Rathaus schon bisher davon ausgegangen, dass die Neuverschuldung heuer 2,2 Milliarden Euro ausmachen wird, so hat man das gerade weit nach oben korrigiert; jetzt rechnet man mit 3,8 Milliarden.
Es ist absehbar, was da passieren wird: Kickl wird seine Finanzministerin oder seinen Finanzminister anweisen, die Stadt zu einem schmerzlichen Sparkurs zu zwingen – damit SPÖ, Neos und eventuell Grüne gerade auch auf Dinge verzichten müssen, die ihnen wichtig sind, auf Kultur- und Medienförderungen, auf Diversitäts- und Integrationsprogramme und auf vieles andere mehr.
Johannes Huber betreibt den Blog – Analysen und Hintergründe zur Politik