logo



[email protected]

Kickls zweite Chance

20-12-2024, 08:35

Gastkommentar von Johannes Huber. Die sogenannte „Zuckerlkoalition“ steht noch immer nicht. Karl Nehammer tut alles, damit die Verhandlungen scheitern. Sprich: Blau-Türkis bleibt möglich.

Karl Nehammer hat’s vermasselt. Vor einer halben Ewigkeit hat ihm Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Auftrag erteilt, eine Regierung zu bilden. Er hat sich jedoch zu viel Zeit gelassen und ist überhaupt ambitionslos vorgegangen: Zuerst waren Herbstferien angesagt. Dann hat er die Dinge mit hunderten Verhandlern irgendwie laufen lassen. Jetzt ist alles außer Kontrolle.

Weil er dem Projekt Türkis-Rot-Pink keinen Arbeitstitel gegeben hat, haben Zyniker Begriffe wie „Zuckerlkoalition“ oder „Ömpel“ durchgesetzt. Es ist unverständlich: Gerade weil diese Konstellation so unmöglich ist, hätte Nehammer schnell machen und Fakten schaffen müssen. Vor allem beim Budget. Er hat es nicht getan, also ist gerade erst sichtbar geworden, welchen Scherbenhaufen er als bisheriger Kanzler mit seinem bisherigen Finanzminister Magnus Brunner zu verantworten hat: Das größte Sparpaket aller Zeiten wird nötig. Gute Nacht.

Wie er das jetzt durchbringen will, ist schleierhaft: Neos werden noch deutlicher verlangen, den Finanzminister oder die Finanzministerin stellen zu dürfen. Außerdem werden sie den Druck erhöhen, zu einer Pensionsreform zu schreiten, die wirklich viel Geld bringt. Umgekehrt werden Sozialdemokraten jetzt erst recht sagen, dass eine große Vermögensbesteuerung „alternativlos“ sei. „Wo kommen wir denn sonst hin?!“

Das wird umgekehrt die Kräfte in der ÖVP auf die Palme bringen, denen die FPÖ im Grunde genommen lieber ist als die SPÖ und die daher Blau-Türkis den Vorzug geben würden: Wirtschaftsvertreter und die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner etwa, die im Übrigen nichts von Steuererhöhungen wissen wollen.

Das kann kaum gut ausgehen für Nehammer. Zumal Ende Jänner noch mehr Ungemach auf ihn wartet. In Niederösterreich finden Gemeinderatswahlen, im Burgenland eine Landtagswahl statt. Einmal drohen der ÖVP (Niederösterreich), einmal der SPÖ (Burgenland) Verluste. In beiden Fällen dürften Freiheitliche groß zulegen.

Kickl könnte der ÖVP dann einen Deal anbieten: Sie teilen sich die Macht im Burgenland auf und lösen damit Hans Peter Doskozil als Landeshauptmann ab. Davon hätte vor allem die Volkspartei etwas, die sonst wohl in Opposition bleiben müsste. Im Gegenzug wird auf Bundesebene gemeinsame Sache gemacht.

Wird der FPÖ-Chef so weit gehen? Kaum. Es würde der Erzählung widersprechen, dass der Erste Regierungschef werden müsse. Auf Bundes- wie auf Länderebene. Und im Burgenland wird wohl Doskozil mit der SPÖ vorne bleiben.

Der Punkt ist jedoch, dass allen klar ist, dass es grundsätzlich möglich wäre. Und dass sich bei weiteren freiheitlichen Wahlerfolgen jene Kräfte in der ÖVP bestätigt fühlen werden, die sagen, dass kein Weg an Blau-Türkis inklusive Kickl vorbeiführe: Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass es letzten Endes doch noch dazu kommen wird – ohne Nehammer, der dann wohl gehen muss.

Johannes Huber betreibt den Blog – Analysen und Hintergründe zur Politik

Nachrichtenquelle


© 2017-2024 wienpress.at [email protected]