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Was Kickl zum "Märtyrer" macht

25-10-2024, 09:01

Gastkommentar von Johannes Huber. Van der Bellen und Karl Nehammer haben gute Gründe, den FPÖ-Chef nicht Kanzler werden zu lassen. Ihr Problem ist jedoch, dass sie bei sehr vielen Menschen kein Verständnis dafür gewinnen können.

FPÖ-Chef Herbert Kickl ortet einen Schlag ins Gesicht seiner Anhänger, und auch ÖVP-Politiker wie der steirische Landeshautmann Christopher Drexler kritisieren, was Bundespräsident Alexander Van der Bellen gemacht hat: Er ist von der Usance abgewichen, den Regierungsbildungsauftrag zunächst dem Vorsitzenden der stimmenstärksten Partei, also Kickl, zu erteilen.

Hat er das tun dürfen? Ja. Als Staatsoberhaupt ist er direkt gewählt und auch dadurch legitimiert, innerhalb des Verfassungsbogens zu machen, was aus seiner Sicht richtig ist. Er könnte, zugespitzt formuliert, auch eine Lotterie veranstalten und die Gewinnerin oder den Gewinner beauftragen, eine Regierung zu bilden. Es ist aber gut und wichtig, dass sein Spielraum begrenzt ist: Die Gewinnerin oder der Gewinner muss eine Mehrheit auf parlamentarischer Ebene hinter sich haben. Nur so kann es zu einer Kanzlerschaft kommen. Letzten Endes braucht es mindestens 92 der 183 Nationalratsabgeordneten dafür.

Herbert Kickl hat keine Aussicht auf eine solche Mehrheit. Für eine Zusammenarbeit in Frage kommt aus seiner Sicht nur die ÖVP. Sie aber schließt eine Zusammenarbeit mit ihm kategorisch aus. Also macht es keinen Sinn, ihn mit der Regierungsbildung zu betrauen. Es ist von vornherein klar, dass er nur scheitern kann.

Trotzdem hält sich eben auch bei Leuten wie Drexler ein großes Unbehagen. In seinem Fall hat es damit zu tun, dass sich Kickl jetzt in einer „Märtyrer“-Rolle sieht, dass er sich als derjenige ausgibt, der zwar Wahlsieger ist, den man den Wählerinnen und Wählern aber nicht dienen lassen wolle. Das ist dazu angetan, eine „Jetzt erst recht“-Stimmung zu befeuern, die der FPÖ bei der Landtagswahl Ende September einen besonders großen Erfolg beschert.

Anstatt sich davor zu fürchten, sollte einer wie Drexler besser darüber nachdenken, woher das kommt. These: Alexander Van der Bellen und Karl Nehammer (ÖVP) haben starke Gründe, Kickl nicht Kanzler werden zu lassen. Allen voran: Er sagt ausdrücklich, dass er ein „Volkskanzler“ werden möchte. Und indem er Andersdenkende ebenso ausdrücklich als Volksverräter bezeichnet, bringt er ein autoritäres, zutiefst demokratiefeindliches Amtsverständnis zum Ausdruck.

Der Punkt ist nun jedoch, dass sehr viele Menschen in Österreich kein entscheidendes Problem darin erkennen. Dass es Van der Bellen oder Nehammer nicht gelingt, das so überzeugend darzulegen, dass diese Menschen sagen: „Okay, das hat was.“ Schlimmer: Vielleicht ist es sogar schon schwer bis unmöglich geworden, derlei zu erreichen, ist die Demokratie an einem kritischen Punkt angelangt, an dem für eine krisenmüde Masse im Vordergrund steht, dass sich die Verhältnisse für sie persönlich nur noch verschlechtern; dass sie von denen, die zuletzt regiert haben, zutiefst enttäuscht sind – und daher Kickl trotz aller Bedenken in Kauf nehmen, zumal er behauptet, ausschließlich ihnen zu dienen, ja „die da oben“ stellvertretend für sie zu „treten“.

Johannes Huber betreibt den Blog – Analysen und Hintergründe zur Politik

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