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Kickl hat sich verrannt

18-10-2024, 08:53

Gastkommentar von Johannes Huber. Der FPÖ-Chef hat sich fürs Erste ums Kanzleramt gebracht. Und muss jetzt befürchten, es nie mehr zu erlangen.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen darf sich warm anziehen: Wenn er den Regierungsbildungsauftrag jetzt nicht FPÖ-Chef Herbert Kickl, sondern ÖVP-Obmann Karl Nehammer erteilt, werden Freiheitliche schäumen. Kickl wird wohl von einer Missachtung des Wählerwillens reden. Er geht ja davon aus, dass dieser klar zu seinen Gunsten ausgefallen sei. Und Norbert Hofer wird sehr wahrscheinlich ein weiteres Mal erklären, dass es einen Aufstand geben würde, wenn er sich als Staatsoberhaupt so entschieden hätte.

Andererseits: Wenn Van der Bellen seinen Job ernst nimmt, kann er den Regierungsbildungsauftrag nicht Kickl geben. Kickl hat keine Aussicht, eine Mehrheit auf parlamentarischer Ebene zu erreichen. Er hat ja nicht einmal einen Verhandlungspartner dafür. Ein Auftrag würde ihm daher lediglich dazu dienen, tagein, tagaus die ÖVP einmal zu umwerben und ein anderes Mal zu attackieren, weil sie sich verweigert. Es wäre lediglich ein verlängerter Wahlkampf zu seinen Gunsten.

Nehammer hingegen hat zumindest Verhandlungspartner vorzuweisen. Nicht nur einen. Neben Sozialdemokraten und Pinken würden sich gerne auch Grüne anbieten dafür. Vorerst liegt sein Fokus jedoch auf SPÖ und Neos.

Ist das alles undemokratisch, widerspricht es dem Wählerwillen? Von wegen. Letzten Endes entscheidend ist die parlamentarische Mehrheit. 1989 blieb die SPÖ bei einer Landtagswahl in Kärnten mit 46 Prozent klar Erste. Freiheitliche, die mit 29 Prozent trotz Zugewinnen weit dahinter landeten, ließen ihren Jörg Haider jedoch mit ÖVP-Unterstützung zum Landeshauptmann küren. Von einem Wählerbetrug redeten sie damals nicht. Ebenso wenig 2000, als sie sich als Zweitplatzierte auf Bundesebene mit der drittplatzierten ÖVP zusammentaten und deren Obmann Wolfgang Schüssel zum Kanzleramt verhalfen. Die Nummer eins, die SPÖ, ging leer aus.

Das ganze Gerede vom Wählerwillen ist daneben: Österreich hat ein Verhältniswahlrecht. Bei der Nationalratswahl ist also kein rein blauer, sondern ein zu 28,8 Prozent blauer, 26,3 Prozent türkiser, 21,1 Prozent roter, 9,1 Prozent pinker und 8,2 Prozent grüner Wählerwille herausgekommen. Zumindest so lange hier kein einzelner über eine absolute Mehrheit verfügt, heißt das für Parteien, sich zusammenzuraufen und das Gemeinsame zu suchen.

Das ist der Punkt, der zu Herbert Kickl zurückführt: Er, der „Volkskanzler“ werden möchte, betrachtet ÖVP, SPÖ, Neos und Grüne als „Einheitspartei“, vor allem aber „Volksverräter“, setzte Vertreter von ihnen auf eine „Fahndungsliste“. Damit hat er sich fürs Erste selbst ums Kanzleramt gebracht: Niemand kann erwarten, dass die, die er zu Feinden erklärt hat, ihm jetzt helfen, an die Macht zu kommen. Es ist der Preis, den er in Kauf genommen hat. Jetzt muss er dafür bezahlen.

Schlimmer für ihn: Wenn er sich nicht grundlegend ändert und nicht beginnt, einen respektvollen Umgang mit Andersdenkenden zu pflegen, dann riskiert er, nie ins Kanzleramt zu gelangen. Zumal die nächste Nationalratswahl möglicherweise erst in fünf Jahren, also im Herbst 2029, stattfinden wird. Und zumal nicht gesagt ist, dass sich die Stimmung zu seinen Gunsten so lange halten kann bzw. insbesondere ÖVP und SPÖ so schwach aufgestellt bleiben, wie sie es heute sind.

Johannes Huber betreibt den Blog – Analysen und Hintergründe zur Politik

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